Bibis Song: Stein des Anstoßes?!

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„How it is (wap bap…)“ – Top oder Flop?

Am 5. Mai veröffentlichte die bekannte und vor allem bei Mädchen beliebte YouTuberin Bibi ihren ersten Song. „How it is (wap bap…)“ wurde in den 8 Tagen seit seiner Veröffentlichung bereits mehr als 32 Millionen Mal aufgerufen. Dies stellt einen absoluten Rekord für ihre YouTube-Videos dar, die normalerweise um die 2 Millionen Views haben. Doch wo ihre Videos normalerweise Likes im sechsstelligen und Dislikes im vierstelligen Bereich bekommen, bringt es ihr Musikvideo bisher auf sage und schreibe mehr als 2 Millionen Dislikes bei etwas mehr als 300.000 Likes.

Im Verhältnis gesehen ist das Video in Sachen Beliebtheit also ein totaler Flop für Bibi. Trotzdem ist es für sie als YouTuberin kein Verlustgeschäft – und sie hat zudem auch noch einen wunderbaren Beitrag zum Thema Medienbildung geleistet.

Wer ist Bibi?

Bibi heißt mit vollem Namen Bianca Heinicke und ist heute 24 Jahre alt. Sie ist seit Ende 2012 Betreiberin des YouTube-Kanals BibisBeautyPalace, der laut Wikipedia auf der Hitliste der deutschen YouTube-Kanäle mit 4,4 Millionen Followern auf Platz 2 liegt. In ihren Videos spricht sie über Themen wie Mode, Kosmetik und Lifestyle. Inzwischen ist Bibi auch auf Twitter, Instagram und Snapchat als Influencerin unterwegs.

Wieso ist das Musikvideo kein Flop für Bibi?

Klar hat die beliebte YouTuberin fast seit der ersten Stunde Spott für ihren Song kassiert (Newssuche bei Google) und sah sich einem heftigen Shitstorm in den sozialen Netzwerken und der Presse ausgesetzt. Das Lied landete auch schnell auf der Liste der unbeliebtesten YouTube-Videos.

Screenshot vom 13.5. 201721:15

Doch geht sie erstaunlich gelassen mit der Kritik um und schließt bereits heute nicht aus, dass es einen zweiten Musikclip geben wird (Artikel). Erstens weiß sie als YouTuberin natürlich, wie schnell ein Shitstorm für gewöhnlich weiterzieht. Des Weiteren hat ihr auch dieser „Flop“ eine nicht unbeachtliche Summe eingebracht. Da sich beliebte YouTuber wie Bibi zu ihren Einnahmen nicht äußern dürfen, kann man nur vermuten, wie viel sie an „How it is (wap bap…)“ bisher verdient hat. Folgt man den Berechnungen auf der Seite Netzjob  könnte es sich um einen Verdienst im mittleren fünfstelligen Bereich handeln. Diese Berechnung geht aus von ca. 1,30€/1000 Klicks. Und schließlich hält sie es vielleicht auch ein klein wenig mit Oscar Wilde, für den Nachahmung die höchste Form der Anerkennung war.

Was hat Bibis Song denn nun mit Medienbildung zu tun? 

So schrecklich der Song auch sein mag, so zeigt er sehr deutlich, wie schnell Internetuser heutzutage reagieren und kreativ mit konsumiertem Content umgehen, und dies mit einem sehr kritischen Auge. Denn bereits nach kürzester Zeit wurden auf YouTube die ersten Parodien und Reaktionen zu „How it is (wap bap…)“ hochgeladen, und inzwischen liefert eine Suche nach dem Lied auf YouTube mehr als 35.000 Hits.

So zum Beispiel das Video der Internauten, die vor allem den finanziellen Gewinn des Songs für Bibi in den Mittelpunkt stellen.

In einem  Interview antworteten die drei Studenten auf die Frage nach ihrer Motivation folgendes:

„Wichtig ist uns […] die Kritik an der aktuellen YouTuber-Generation, die ihre Influencerposition leider häufig ausnutzt, und das haben wir versucht durch den Text darzustellen.“

Doch das Video und die vielen Reaktionen dazu sind nicht nur ein Beweis dafür, wie kreativ die heutige Jugend (wobei ich zur“Jugend“ in diesem Kontext durchaus auch noch die 25- bis 30-Jährigen zähle) mit den konsumierten Medien umgeht. Vielmehr bietet sich hier ein toller Aufhänger für LehrerInnen vieler Fächer (z.B. Deutsch, Politik, Musik, Fremdsprachen …), Medienbildung in ihrem Unterricht umzusetzen, und dies nicht mit etwas mit der Analyse jahrealter Interviews von Spitzer mit eher negativer Haltung, sondern tagesaktuell, mit dem Ziel die Informationskompetenz ebenso mit einzubeziehen, wie den Alltag der Schüler, aktuelle gesellschaftliche Tendenzen und den Kommerz, der sich hinter YouTube verbirgt. Natürlich können in diesem Kontext auch Begriffe wie „Shitstorm“ angesprochen und von ähnlichen Begriffen wie „Mobbing“, „Hatespeech“ und „Cyberhetze begrifflich unterschieden werden. Und auch ein fächerverbindendes Projekt wäre leicht denkbar.

Außerdem lassen sich die Parodien auch herrlich dafür nutzen, um Jugendlichen das Genre der Parodie verständlich zu machen – was vermutlich weitaus einfacher ist, als wenn man einen klassischen Text oder Böhmermanns Parodien als Ausgangspunkt nimmt. Zum Beispiel könnte man anhand von Bibis Clip und einigen gut gewählten Parodien ein Bewertungsraster für gute und nicht so gute Parodien entwerfen und die Schüler könnten als Transferaufgabe und zur Überprüfung des Lernerfolgs weitere Videos anschauen, bewerten und dazu Stellung nehmen.

Doch bis dahin reden wir über Medien, d.h. wir betrachten sie und den Einfluss, den sie auf unseren Alltag haben, aus einer analytisch-kritischen Distanz. Doch Jugendliche sollen in der Schule nicht nur etwas über Medien lernen, sondern sie sollen auch mit Medien lernen. Und was läge da näher, als vor dem Hintergrund der bereits veröffentlichten Parodien und des neu erworbenen Wissens selbst Parodien zu „How it is (wap bap…)“ zu machen?

Zwar überwiegt laut der JIM-Studie 2016 bisher der Konsum von YouTube-Videos unter den 12- bis 19-jährigen bei Weitem, aber bereits 2% der Jugendlichen gaben an, dass sie selbst Videos auf YouTube hochladen. Der Anteil derer, die tatsächlich kreativ mit den ihnen zur Verfügung stehenden Medien umgeht, ist jedoch um ein Vielfaches höher, denn jeder, der Instagram, Snapchat, Musical.ly und Co nutzt, ist kreativ, auch wenn nicht immer in gleichem Maße.

Was hat Kreativität mit Bildung zu tun?

In meiner beruflichen Praxis ist mir in den letzten Jahren immer häufiger mit Erschrecken aufgefallen, dass meine Schüler bei kreativen Aufgaben eher die Nase rümpfen und behaupten, keine Ideen zu haben. Natürlich gibt es Ausnahmen, aber die sind – vor allem wenn es auch noch um Fremdsprachen geht – eher selten. Doch der moderne Fremdsprachenunterricht basiert auf der kommunikativen und kreativen Auseinandersetzung mit der Fremdsprache. Auf meine Nachfrage hin, ob sie denn früher – im Kindergarten zum Beispiel – nicht kreativ waren, wurde mir oft gesagt, dass dies tatsächlich der Fall gewesen sei, aber dass sie aus irgendeinem unerfindlichen Grund ihre Kreativität verloren hätten.

In weiteren Gesprächen mit Schülern und mit im Medienbereich aktiven Kollegen ergab sich die Vermutung, dass unser Bildungssystem vielleicht mit daran Schuld sein könnte, dass die Kreativität aus Kindertagen im Laufe der Schulzeit verloren geht. Denn unser Bildungssystem hält nach wie vor an einem Bildungsbegriff (und leider auch oftmals an Methoden) fest, die nicht mehr zeitgemäß sind und der Lebensrealität unserer Schüler immer fremder werden. Zudem wird Leistung mit Noten gemessen und diese Noten beruhen aus unterschiedlichen Gründen häufig auf teils auswendig gelernten Formeln und Fakten, teils auf standardisierten Testformaten, deren Relevanz für den Alltag von Jugendlichen auf den ersten – und auch auf den zweiten – Blick nicht unbedingt ersichtlich wird. Doch Relevanz ist ein Kernfaktor beim erfolgreichen Lernen. Kreative Aufgaben werden hingegen ungern als Ersatz für Klassenarbeiten angesehen, denn zum einen bringen sie einen nicht vernachlässigbaren Korrekturaufwand mit sich, den man neben all den anderen Pflichten, die ein Lehrer heutzutage hat, auch noch irgendwo unterbringen müsste. Zum anderen sind kreative Aufgaben nicht einfach zu bewerten, denn bei Fragen der Kreativität gibt es kein Richtig oder Falsch, es liegt alles im Auge des Betrachters und kann leicht willkürlich erscheinen und damit anfechtbar sein. Anfechtbarkeit ist jedoch ein Problem in einer dienstleistungsorientierten Zeit, in der es mitunter Eltern gibt, die das Gespräch mit den Lehrern suchen, wenn sich das Kind ungerecht behandelt fühlt, und die somit die Autorität des Lehrers gegenüber dem Schüler schwächen können.

Doch wieso sollte man dieses immense Potenzial, das in der produktonsorientierten Rezeption der heutigen Massenmedien steckt, weiter vernachlässigen? Wieso sollten wir nicht endlich umdenken und Wege finden, wie wir die digitalen Medien positiv konnotiert in unserem Unterricht einsetzen können? Ihre Präsenz und ihre Bedeutung im Leben unserer Schüler ist nicht mehr zu leugnen, wir werden sie nicht verschwinden lassen können, indem wir die Augen vor dieser Realität verschließen. Genauso wie ein Stift zum Verfassen einer Hassschrift oder der Unterzeichnung der Unabhängigkeitserklärung verwendet werden kann, genauso wie das Feuer wärmen oder unsagbaren Schaden anrichten kann, so können auch digitale Medien der Welt von Heute, und noch viel mehr der von Morgen, schaden oder nutzen. Es ist nicht nur unsere Aufgabe als Lehrer, unsere Schüler mit erhobenem Zeigefinger vor den Gefahren der Medien, die sie umgeben zu warnen, sondern wir müssen ihnen beibringen, mit diesen Gefahren umzugehen und die digitalen Medien nach dieser „Entschärfung“ produktiv so zu nutzen, dass sie nach ihrem Schulabschluss die nötige Medienkompetenz im Gepäck haben, um in einer digitalisierten und von Medien bestimmten Welt erfolgreich zu sein. Und wenn dies bedeutet, dass wir umdenken und dazulernen müssen, dann gehört dies ganz klar mit zu unserem Job, denn auch Lehrer lernen nie aus!

Bibis Song – Stein des Anstoßes?!

Um die Frage des Titels dieses Blogartikels also nochmals aufzugreifen: natürlich ist Bibis Song ein Stein des Anstoßes! Doch anstatt uns über die vermeintliche Dummheit der Blondine aufzuregen und sie als Beispiel für die Abartigkeit des Internets und der digitalen Medien allgemein an den Pranger zu stellen, ist es endlich an der Zeit, ihren Song als Anstoß zu sehen, sich mit der Medienwelt der heutigen Jugend auseinanderzusetzen, ihnen die nötige Bildung über Medien zu vermitteln und sie dazu zu animieren sich mit Hilfe genau dieser Medien produktiv mit der sie umgebenden Welt auseinanderzusetzen – anstatt wie wild Fakten zu pauken, um diese in einem Test wiederzukäuen. Denn über kurz oder lang werden Menschen definitiv nicht mehr für ihr Faktenwissen bezahlt werden, sondern sie werden beweisen müssen, dass sie das ihnen zur Verfügung stehende und nur einen Klick entfernte Wissen nutzen können, um Synergien zu erzeugen. Dazu benötigen sie die Fähigkeit „outside the box“ zu denken, kreativ an Probleme heranzugehen und sich nicht von vermeintlichene Konventionen behindern zu lassen.

Wir sollten nicht vergessen, dass viele erfolgreiche Menschen, die in ihrem Beruf aufgehen und die Gesellschaft voranbringen, nicht so weit gekommen sind, weil sie in der Schule fleißig auswendig gelernt haben, sondern weil sie Visionen haben, Probleme mit Kreativität lösen können und Flexibilität an den Tag legen.

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