eLecture: Online-Games – Spiele oder Tatort? (Projekt Virtuelle PH, Österreich)

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Die letzte von mir besuchte eLecture des Projekts Virtuelle PH in Österreich drehte sich um das Thema Computerspiele und ihre Nutzbarkeit im pädagogischen Rahmen. Referent war Herbert Rosenstingl, Mitarbeiter der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen in Österreich und Mitherausgeber des Buches „Faszination Computerspiele“ (Braumüller 2008). Die Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen gibt Empfehlungen ab, ab welchem Alter ein Computerspiel unbedenklich gespielt werden kann. Anders als die Altersfreigabe geht es hier um die Auswirkungen, die ein bestimmtes Spiel auf einen jungen Spieler haben kann.

Seit Anbeginn der Zeit ist der Mensch laut Johan Huizinga ein „homo ludens“. Bei seinen Forschungen zum Ursprung der Kultur im Spiel grenzt er das Spiel formal als ein freies und vom produktiven Nutzen her unnötiges Handeln ab, welches mit dem eigentlichen Leben nichts zu tun hat. Weiterhin ist ein Spiel in seiner Dauer begrenzt, hat also einen Anfang und ein Ende, und zeichnet sich durch Wiederholbarkeit aus. Schließlich verfügen Spiele über ein bestimmtes Spannungselement und schaffen Ordnung genauso wie sie selbst Ordnung sind. Vom funktionellen Standpunkt aus gesehen geht es beim Spiel entweder um Kampf oder um Darstellung oder um einen Mischung von beidem.

Während des Spielens befindet man sich in einem „magischen Kreis“, welcher von der Begrenztheit eines jeden Spiels geschaffen wird. Man tritt als Spieler bewusst in diesen magischen Kreis ein und verlässt ihn ebenso bewusst wieder. Während man sich in ihm aufhält unterwirft man sich freiwillig bestimmten Konventionen, den Spielregeln, und weiß zum einen, was man tut und zum anderen, dass es sich um ein Spiel handelt. Gründe weshalb man freiwillig unnötige Hindernisse auf sich nimmt, können die Faszination der Herausforderung an sich sein oder aber die Vielfalt an Szenarien, die einem im Spiel angeboten werden.

Die Bedeutung eines Spiels für seinen Spieler leitet sich laut dem systemischen Ansatz von Christoph Klimmt (2006) aus dem Unterhaltungserleben hab. Dazu gehören neben dem ludischen Wert die Faszination, die Knöpfe schon auf Kleinkinder ausüben, die mit einem Spiel verbundene Spannung und die Möglichkeit, in Rollenspielen fern der Realität in einer Parallelwelt zu agieren.

Des Weiteren schaffen Spiele Sozialräume, in denen sich die soziale Kompetenz eines Spielers entfalten kann. Dieser Gemeinschaftsaspekt beschränkt sich nicht nur auf das konkrete Spielen, sondern dehnt sich auch auf die Kommunikation über das Spiel mit anderen (Einzel)Spielern aus. So kann auch ein im alltäglichen Leben eher erfolgloser Mensch in dieser virtuellen Welt Erfolge erzielen und erleben, die sich positiv auf seine Persönlichkeit auswirken. Der sogenannte „Flow“ entsteht im Spannungsfeld zwischen Überforderung und Langeweile.

Spiele können durch ihre Einteilung in bestimmte Kategorien unterschieden werden. Zu diesen Kategorien zählen beispielsweise die Art der Steuerung, das Ziel und die an den Spieler gestellten Anforderungen. Im Hinblick auf Online-Spiele kommen noch die Aspekte der Spielerzahl und die Frage, ob man lokal auf dem Computer ein Programm installieren muss (Client-basiertes Spiel) oder ob man im Internetbrowser spielen kann. Bei Die Sims handelt es sich zum Beispiel um ein Client-basiertes Spiel für einen Einzelspieler, während Farmville ein entsprechendes Browserspiel ist. Mario-Kart und F1-Online, beides Spiele, in denen eine begrenzte Anzahl von Spielern gegeneinander antritt, sind beide Autorennspiele, wobei nur Ersteres lokal auf dem Computer installiert werden muss. Dasselbe gilt auch für das beliebte Massive-Multiplayer-Online Game World of Warcraft.

Oftmals werden besonders in den Medien Computerspiele, besonders die sogenannten Ego-Shooter-Spiele, in einem Atemzug mit dem Stichwort „Gewalt“ genannt. Dabei werden Studien zitiert, die angeblich diesen Zusammenhang untermauern. Allerdings gibt es dafür keinerlei handfester Belege, da Gewalt und Aggressionen nur schwer messbar sind. Maximal können bei einem sogenannten „high risk player“ bereits vorhandene Probleme, die er mit Hilfe des Spiels zu bewältigen versucht, verstärkt werden.

Hier kommt das ins Spiel, was Jürgen Fritz als Rahmungskompetenz bezeichnet. Solange ein Spieler sich des Unterschieds zwischen Realität und Leben bewusst ist und es keinen Transfer von Verhaltensweisen vom Spiel auf die Wirklichkeit gibt, besteht kein Risiko in Computerspielen. Kommt es jedoch zu einem solchen Transfer, so ist nicht das Spiel schuld daran sondern die psychische Prädisposition des Spielers. Natürlich ist diese Kompetenz auch abhängig vom Alter und dem sozialen Umfeld. Hierbei ist es wichtig, zwischen dem Gefahrenpotenzial von narrativen Filmen und dem interaktiver Computerspiele zu unterscheiden. Während Killerspiele nicht als Ursache von Gewalt gesehen werden können, kann ein Gewaltfilm durchaus gewaltverherrlichend wirken. Im Gegensatz dazu stellt ein Gewaltausbruch nach dem Spielen eines Computerspiels lediglich einen Hinweis auf ein bereits vorhandenes Gewaltproblem dar. Das von der Bundesstelle für die Positivprädikatisierung von Computer- und Konsolenspielen verliehene PEGI (Pan-European Game Info) gibt gerade darüber eine Empfehlung ab, ab welchem Alter nicht mit einer negativen Auswirkung eines Spiels gerechnet werden dürfte. Über die Qualität des Spiels an sich sagt es jedoch nichts aus.

Ein weiteres häufig mit Computerspielen in Zusammenhang gebrachtes Problem ist die Spielsucht. Um dem Problem einen weniger stigmatisierenden Charakter zu verleihen, sollte klar sein, dass es sich bei einer Sucht im Prinzip um ein exzessives Verhalten in einem bestimmten Bereich handelt. Die reelle Zahl an Spielern, die ein exzessives Verhalten an den Tag legen ist verschwindend gering. Laut einer deutschen Studie liegt der Anteil an Spielsüchtigen unter 0,5%. Der relativ bedeutende Anteil von Jugendlichen resultiert aus der Tatsache, dass es sich bei der Pubertät um eine besonders vulnerable Phase handelt, in der die Versuchung, dem Spieltrieb nachzugehen, besonders groß ist. Dies liegt begründet darin, dass man in diesem Alter auf der Suche nach Erfolgserlebnissen, dem „Flow“, ist, die man eventuell in der Realität nicht bekommt. Daher fühlen sich jugendliche Spieler oftmals im Nexus der Online-Community zwischen Anonymität und einem Gefühl der „Heimat“ besonders wohl. Die Frage, ob und ab wann ein vermeintlich exzessives Spielverhalten wirklich als besorgniserregend einzustufen ist, sollte unter anderem auch das Medium und die Tatsache, dass es gerne überkritisch betrachtet wird, nicht außer Acht lassen. Spielt ein Kind stundenlang Schach oder Fußball, so wird dies die Eltern tendenziell weitaus weniger beunruhigen als die stundenlange Beschäftigung mit dem Computer, wobei es sich neutral betrachtet bei beiden Aktivitäten um ein exzessives Verhalten handelt.

Natürlich ist die Suchtprävention allgemein etwas, was möglichst früh in Angriff genommen werden muss. Bekommt ein Kind zu Hause Liebe, Geborgenheit und Anerkennung und lernt, sich selbst in einem positiven Licht zu sehen, dann ist es als heranwachsender Teenager tendenziell weniger suchtanfällig. Weitere Faktoren sind auch die gebotene Erlebnisvielfalt und die Frage, ob ein Kind zur Eigenverantwortung erzogen wurde. Die Schule ist nicht der Ort, um maßgebliche Suchtprävention zu betreiben, denn dafür ist es im Teenageralter meist schon zu spät.

Anstatt sich mit der Wirkung von Computerspielen zu beschäftigen, sollten die Medien vielleicht lieber eine allgemeine Wertediskussion anregen, denn werden einem Jugendlichen bestimmte positive Werte vermittelt, dann ist es höchst unwahrscheinlich, dass eine negative Wirkung von einem beliebigen, auch noch so auf gewalttätigen Computerspiel ausgehen wird. Während die Diskussion um die Auswirkungen zu wenig konstruktiven Ergebnissen führt, könnte eine Diskussion um Werte zu einer nachhaltigen Veränderung führen.

Würden wir uns so von den negativen Seiten der Computerspiele abwenden, würden wir vielleicht auch die Potenziale und Chancen dieser Spiele erkennen. Denn die erfolgreiche Beschäftigung mit einem komplexen Computerspiel ist eine großartige Leistung, die auch gewürdigt werden sollte. Durch diese Betätigung wird der Geist eines Spielers angeregt und er beschäftigt sich automatisch nicht nur mit den simpelsten Dingen, die ihm in der Schule und im alltäglichen Leben begegnen, sondern wird Spaß daran haben, sich mit komplexeren Fragestellungen zu beschäftigen.

Als Lehrer sollten wir also vielleicht beginnen, die Begeisterung zu hinterfragen, mit der sich unsere Schüler Computerspielen widmen anstatt sich auf die Schule zu konzentrieren. Möglicherweise liegt der Grund dafür im Schulsystem allgemein, welches sich immer mehr von der Lebensrealität der Schüler weg entwickelt. Dieser Entwicklung muss möglichst schnell entgegen gewirkt werden, wollen wir verhindern, dass zukünftige Schülergenerationen immer weniger Spaß an der Schule haben. Ein Weg, dem entgegen zu wirken wäre, sich Computerspiele pädagogisch zu Nutzen zu machen.

Bei genauerem Betrachten trainieren laut Aarseth (cybertext, 1997) viele Computerspiele Kernkompetenzen, die aus der heutigen Arbeitswelt – und damit aus den Bildungsplänen – nicht mehr wegzudenken sind. So lernt man bei Spielen zu interpretieren wenn man bestimmte Situationen reflektieren muss um sie zu verstehen. Ebenso übt man bei der Entdeckung einer virtuellen Welt sich zu orientieren und Entscheidungen zu treffen. Schließlich werden auch die Kreativität und das strategische Denken gefördert, wenn man ein Spiel konfigurieren und mit kreativen Inhalten füllen muss. Besonders die letzten beiden Punkte sind Teil der Medienkompetenz, der „media literacy“, die jeder heutzutage benötigt, um nutzbringend mit dem immer größer werdenden und von der Partizipation lebenden Web 2.0 umzugehen.

Somit liegt das Potenzial guter Spiele in der Ausbildung der kognitiven, sozialen und persönlichkeitsbezogenen Kompetenzen bei gleichmäßigem Training der Sensormotorik und der Medienkompetenz. Gefördert werden durch gut ausgewählte Computerspiele also im Prinzip die Schlüsselkompetenzen, die von der Gesellschaft immer lauter gefordert werden.

Es ist jedoch nicht unbedingt nötig, sich auf Lernspiele zu beschränken, denn gerade die sind aufgrund ihrer Konzeption und Konzentration auf bestimmte Inhalte (z.B. die Vokabeln einer bestimmten Lektion eines spezifischen Lehrwerks) meist wenig fesselnd. Zudem ist hier die Geschlossenheit des magischen Kreises ein Problem, sofern pädagogisch keine Brücke zur Realität geschlagen werden kann. Auch wenn man generell über die pädagogische Kompetenz verfügt, den Schülern den Bezug eines bestimmten Lerninhalts für die Wirklichkeit zu verdeutlichen, so ist dies bei Lernspielen oftmals um ein Vieles schwieriger und man sollte sich überlegen, ob man nicht lieber ein sowieso bei Jugendlichen beliebtes Spiel pädagogisch einsetzen kann.

In diesem Sinne sind gute Spiele solche, die Erfahrungen statt Erklärungen bieten, die es erlauben, Dinge auszuprobieren, ohne dass ein Scheitern Schaden nach sich zieht und Erfolge unmittelbar belohnt werden. Ebenso sollte die Spielwelt eines solchen Spiels natürlich Faszination ausüben und Gelerntes sollte sich immer als wichtig erweisen. Schließlich sollte es dem Spieler ermöglichen, Teil einer Gemeinschaft zu sein.

Für den erfolgreichen Einsatz von Computerspielen im Unterricht muss mal als Lehrer kein passionierter Spieler mit großer Expertise sein, da man davon ausgehen kann, dass in jeder Klasse genügend Schüler diesen Part übernehmen können. Vielmehr sollte man Interesse zeigen, Offenheit und Akzeptanz beweisen und das Ergebnis von Unterhaltungen mit den spielbegeisterten Schülern thematisieren. Im Anschluss daran kann man dann alter Wege in einer neuen Schrittart beschreiten. So wird das Basteln zum Case-Modding umfunktioniert und statt normaler Gruppenarbeit werden Lan-Parties veranstaltet.

Auch wenn man durch das Spiel am besten lernt, die Welt und sich selbst zu verstehen, so liegen die institutionellen Hürden, die diesem Umdenken im Weg stehen, auf der Hand: mangelhaft ausgestattete EDV-Räume, die Begrenzung von Stunden auf 45 oder maximal 90 Minuten und die Notwendigkeit aufgrund des geringen zur freien Verfügung stehenden Spielräume alles was man in Angriff nimmt mit den Anforderungen des Bildungsplans in Einklang zu bringen.

Für mich persönlich war diese Fortbildung in sofern interessant, als dass sie mir einmal mehr aufgezeigt hat, wie nützlich auch scheinbar unnütze Computerspiele sein können. Ich habe bereits 2011 beim Colloque CyberLangues einem ausgezeichneten Vortrag von Romain Janvier zu „Serious Games“ und Computerspielen allgemein beigewohnt. Darüber hinaus hat mir diese eLecture einmal mehr gezeigt, wie sehr ich mein Denken doch meinen Schulbüchern unterordne und damit den größeren Rahmen der vom Bildungsplan geforderten Kompetenzen hin und wieder aus den Augen verliere. Da allerdings der Bildungsplan lediglich diese Kompetenzen einfordert, jedoch nicht angibt, wie sie erreicht werden sollen, ist es bei einem vollen Deputat so gut wie unmöglich „to think outside the box“ und man orientiert sich so zwangsläufig an den benutzten Schulbüchern, auch wenn man sich bemüht, den Unterricht hier und da mit Liedern und Filmen aufzulockern. Ich finde es sehr schade, wie schnell man doch Opfer des Systems wird, bin mir jedoch auch bewusst, dass ich mit meinen Kräften haushalten muss und mein Tag keine 48 Stunden hat. Allerdings werde ich in Zukunft lieber zweimal hinhören, wenn meine Schüler über Computerspiele reden, bevor ich über diese Beschäftigung negativ urteile.

Obwohl ich mir fest vorgenommen habe, meine Augen nach pädagogisch einsetzbaren Computerspielen offen zu halten, so muss ich zugeben, dass ich mich momentan außer Stande sehe, meine potenziellen Ideen auch umzusetzen. Da ich mich zur Zeit mit teilweise großen Schwierigkeiten konfrontiert sehe, meinen Schülern und auch einigen besorgten Eltern den pädagogischen Nutzen des Einsatzes von Twitter und Weblogs näher zu bringen, befürchte ich, dass ein Einsatz von Computerspielen unter diesen Bedingungen keine gute Idee wäre. In vielen Köpfen ist leider noch die weitläufige Meinung vertreten, dass man in der Schule vor allem konventionelle Themen mit konventionellen Methoden behandeln soll und dass Schule und Spaß unvereinbar sind.

Die Aufzeichnung der eLecture befindet sich wie immer im Archiv.

 

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