Bildung mit Sinn und Herausforderung – Warum Purpose- und Challenge-based Learning der nächste Schritt sein müssen

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Bildung neu denken reicht nicht: sie muss neu gelebt und verankert werden – im Sinn, im Leben, in der Zukunft. Der Future:Guide Bildung plädiert für ein Lernen, das nicht Wissen reproduziert, sondern Menschen in ihrer Gestaltungskraft stärkt. Purpose- und Challenge-based Learning sind konsequente Antworten auf diese Anforderung – und könnten zum notwendigen Paradigmenwechsel führen.

Vom Stoff zum Sinn: Warum Purpose zählt

In einer Welt, die von Komplexität, Unsicherheit und Disruption geprägt ist, reicht es nicht mehr aus, Lernprozesse entlang vorgegebener Lehrpläne zu organisieren. Lernende von heute – und erst recht von morgen – brauchen mehr als Input. Sie brauchen Purpose: einen tragenden Sinn, der das Lernen in Beziehung zur Welt, zur Gemeinschaft, zur Zukunft und zur eigenen Biografie setzt.

Purpose-based Learning stellt die Frage: Wofür lerne ich? Und zwar nicht erst am Ende, sondern als Ausgangspunkt jeder Lernreise. Der Sinn wird nicht von außen vorgegeben, sondern gemeinsam mit den Lernenden entwickelt. Dies fördert nicht nur intrinsische Motivation, sondern auch Verantwortung, Identitätsbildung und Verbundenheit – zentrale Elemente zukunftsorientierten Lernens mit dem Ziel, eine lebenswerte, inklusive, nachhaltige und demokratische Zukunft gestalten zu können.

Herausforderungen als Lernmotor

Challenge-based Learning (CBL) ergänzt dieses Verständnis, indem es das Lernen konsequent an lebensweltlichen Herausforderungen ausrichtet – lokal, global, persönlich, gesellschaftlich. Lernen findet nicht im luftleeren Raum statt, sondern wird zum Wirken in der Welt. Die Herausforderung ersetzt das klassische Unterrichtsziel: Was will ich – oder wollen wir – konkret verändern, bewegen, verstehen, lösen?

CBL fördert systemisches Denken, Teamwork, Kreativität und Durchhaltevermögen. Lernende übernehmen Verantwortung für ein Problem, entwickeln eigene Lösungsansätze, erproben diese und reflektieren den Weg. Dabei geht es nicht um „richtig“ oder „falsch“, sondern um Wirksamkeit, ethische Reflexion und Gestaltungswille – Fähigkeiten, die in einer demokratischen Gesellschaft nicht verhandelbar sind.

Gemeinsamkeiten und Synergien

Sowohl Purpose- als auch Challenge-based Learning gehen über projektbasiertes Lernen hinaus. Sie verknüpfen persönliche Relevanz mit gesellschaftlicher Wirkung. Sie aktivieren nicht nur kognitive, sondern auch emotionale und soziale Ressourcen. Und sie ermöglichen Transformation – individuell wie kollektiv.

Im Wheel of Transformation von The Future:Project wird deutlich: Bildung muss Räume schaffen für Exploration, Revision, Imagination und Wirksamkeit. Purpose- und Challenge-based Learning bieten genau das. Sie machen Bildung zur echten Erfahrung – und Erfahrungen zum Kern von Bildung.

Ein Beispiel: Zukunft gemeinsam gestalten

Statt den Klimawandel nur theoretisch zu behandeln, entwickeln Lernende z. B. eine Kampagne zur Reduktion des Schul-CO₂-Fußabdrucks. Statt Demokratietheorie zu pauken, organisieren sie ein Beteiligungsformat für ihre Kommune. Statt über Gerechtigkeit zu sprechen, setzen sie sich mit ihren eigenen Privilegien auseinander – und überlegen, wie sie handeln wollen. Der Purpose ergibt sich aus der Bedeutung für das eigene Leben, die Challenge aus der realen Komplexität.

Voraussetzungen für gelingendes Lernen mit Purpose und Challenge

Damit Purpose- und Challenge-based Learning nicht zur bloßen Methode verkommt, braucht es eine neue Haltung im Bildungssystem:

  • Vertrauen in Lernende: Sie sind keine Empfänger:innen von Bildung, sondern Mitgestalter:innen gesellschaftlicher Zukunft.

  • Räume der Offenheit: Curricula, Prüfungsformate und Zeitstrukturen müssen ersetzt werden durch Ziele, die sich um echte Herausforderungen drehen.

  • Lernbegleitende als Ermöglicher:innen: Sie schaffen Orientierungsangebote, bieten Reflexionsräume und begleiten Prozesse – ohne sie zu dominieren. Und auch sie lernen jeden Tag dazu.

  • Kooperationen mit der Welt „da draußen“: Lernen darf nicht an der Tür des Lernorts enden. Gesellschaftliche Akteure, Unternehmen, Initiativen und Familien, aber auch Senior:innen gehören mit an den Tisch. 

Bildung als Beitrag zur Welt – jetzt und morgen

Purpose- und Challenge-based Learning sind keine Modeerscheinungen. Sie sind eine notwendige Weiterentwicklung dessen, was Bildung leisten muss: Sie befähigt Menschen dazu, die Welt zu verstehen – und sie zu gestalten. Nicht erst später. Nicht nur im Kleinen. Sondern jetzt. Und mit Sinn.

Übrigens gibt es bereits Schulen, die sich an diesen Prinzipien orientierten, darunter NuVu in Cambridge. 

Neugierig geworden? – konkrete Beispiele für Purpose & Challenge Learning

Frühes Grundschulalter (6–8 Jahre)
Purpose: „Wir möchten, dass sich alle in unserer Lerngruppe wohlfühlen.“
Challenge: Die Kinder entdecken, dass sich einige Mitschüler:innen in der Pause ausgeschlossen fühlen. Sie überlegen gemeinsam, was sie tun können, damit alle sich als TEil der Gruppe fühlen. Daraus entsteht ein „Pausenfreundschafts-Plan“, den sie selbst gestalten, reflektieren und anpassen.
👉 Lernen wird zur gelebten Erfahrung von Zugehörigkeit, Empathie und Verantwortung.

Spätes Grundschulalter (9–10 Jahre)
Purpose: „Wir wollen unsere Umgebung verstehen und schützen.“
Challenge: Die Klasse erforscht, wie viel Müll sie in einer Woche produziert. Daraus entwickelt sich die Idee, eine schulweite Müll-Challenge zu starten, bei der nicht nur gesammelt, sondern auch analysiert und dokumentiert wird, woher der Müll kommt und wie er sich reduzieren ließe.
👉 Lernen verbindet naturwissenschaftliche Erkenntnisse mit Verantwortung für die Umwelt.

Sekundarstufe I (11–14 Jahre)
Purpose: „Wir wollen wissen, was Demokratie für uns bedeutet.“
Challenge: Die Jugendlichen erkennen in der Diskussion über soziale Medien, wie Falschinformationen entstehen. Sie entwerfen ein Peer-to-Peer-Format zur Aufklärung über Desinformation – als Podcast oder Video-Reihe. Diese verbreiten sie in ihrer Schule und laden zu einer Diskussionsrunde mit Journalist:innen ein.
👉 Lernen findet an der Schnittstelle von Medienkompetenz, Ethik und gesellschaftlicher Beteiligung statt.

Sekundarstufe II (15–18 Jahre)
Purpose: „Wir wollen echte Zukunftskompetenzen entwickeln.“
Challenge: Im Rahmen eines Wahlpflichtkurses übernehmen Lernende die Patenschaft für ein Zukunftsprojekt im Ort – etwa die Gestaltung eines leerstehenden Gebäudes als Jugendzentrum. Sie führen Umfragen durch, verhandeln mit der Stadtverwaltung, präsentieren ihre Ideen öffentlich.
👉 Lernen wird zu einem Gestaltungsprozess, in dem systemisches Denken, Kollaboration und Kommunikation geübt werden.

Berufliche Bildung | Ausbildung (18–25 Jahre)
Purpose: „Wir wollen Lösungen entwickeln, die wirklich gebraucht werden.“
Challenge: Auszubildende im Bereich Pflege stellen fest, dass viele ältere Menschen digitale Angebote nicht nutzen können. Gemeinsam mit einem lokalen Verein entwickeln sie eine Workshopreihe zur digitalen Teilhabe im Alter – und begleiten diese selbst.
👉 Lernen wird verknüpft mit gesellschaftlichem Impact und beruflicher Identitätsentwicklung.

Erwachsenenbildung | lebenslanges Lernen
Purpose: „Ich möchte meine Kompetenzen einsetzen, um zur Transformation beizutragen.“
Challenge: Teilnehmende eines berufsbegleitenden Kurses aus unterschiedlichen Branchen entwerfen eigene Projekte zur Nachhaltigkeit in ihren Arbeitsfeldern. Die Challenges reichen von CO₂-Reduktion im Betrieb über faire Lieferketten bis zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Arbeit.
👉 Lernen ist kein Update, sondern ein Zukunftslabor – verbunden mit Werten und Wirkung.

Diese Beispiele zeigen: Purpose- und Challenge-based Learning sind keine Frage des Alters, sondern der Haltung. Sie ermöglichen sinnstiftendes Lernen in allen Lebensphasen – verbunden mit Mut zur Lücke, Lust auf Verantwortung und dem Vertrauen, dass Menschen wachsen, wenn sie für etwas brennen.

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