Brave new world: Arbeitszeit & Arbeitsorganisation im 21. Jahrhundert – oder: Mein gespaltenes Verhältnis zum 8-Stunden-Tag & was dies mit der Schule zu tun hat

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Schon immer war die Arbeitszeit von im Bildungssektor beschäftigten Personen ein vieldiskutiertes und kontroverses Thema. Die Corona-Pandemie hat diese Diskussion gefühlt noch mehr angeheizt. Häufig hört man den Vorwurf, „die Lehrer“ hätten morgens Recht und nachmittags frei und es sei absolut unverständlich, wie man knapp 3 Monate Urlaub im Jahr haben könne. Doch wie in allen Berufen gibt es auch hier „solche und solche“: ja, ich kenne Kollegen, die ihre 25 Deputatsstunden „halten“, sie nicht großartig vorbereiten, auch mit Korrekturen nicht auf 41 Zeitstunden Arbeitsbelastung kommen und die in der unterrichtsfreien Zeit tatsächlich nichts für die Schule tun. Aber es gibt eben auch die, die 7 Tage die Woche arbeiten, das ganze Jahr durcharbeiten und wöchentlich auf bis zu 80 Stunden kommen, wie das bei mir jahrelang der Fall war. Der Unterschied liegt in der Einstellung: ist eine Beschäftigung im Bildungssektor Job oder Berufung?

Für mich war immer klar, dass ich Idealistin bin, dass ich meinen Beruf bewusst deshalb gewählt habe und dass ich den Beruf wechseln muss, wenn ich diesen Idealismus nicht mehr spüre. Was ich bei der Berufswahl nicht ahnen konnte: das heutige Bildungssystem beruht auf grundlegenden Annahmen aus dem letzten Jahrtausend und ist weit weniger von Idealismus geprägt als ich. Dies war auch letztendlich der Grund, weshalb ich mich zum Schutz meines Idealismus dazu entschied, der Schule den Rücken zu kehren und mich an anderer Stelle darum zu bemühen, mit meinen Visionen inspirieren zu können, sowohl haupt- als auch nebenberuflich. Ich war es leid, gegen Windmühlen zu kämpfen und zwar auf individueller Ebene bei Lernenden durchaus Erfolge zu sehen, jedoch in einem System von vorgestern festzustecken, das nach wie vor die Lehrkraft in den Mittelpunkt stellt, während es eigentlich um das Lernen und Eigenverantwortung auf Seiten der Lernenden gehen sollte.

Seit meinem Wechsel zu meinem aktuellen Wirkungsort habe ich die Möglichkeit, meine Vorstellung vom Lernen im 21. Jahrhundert gestaltend mit einzubringen. Dies geschieht jedoch in einem Rahmen, der ebenfalls sehr traditionell ist: 41h Arbeitszeit pro Woche, ein Zeitbuchungssystem, Kernarbeitszeit und Gleitzeit, 6 Wochen Urlaub, eine Hierarchie von Abteilungen und Referaten und bis vor der Corona-Pandemie eine Pflicht bis auf wenige Ausnahmen den Dienst am Standort zu leisten, vor allem wenn man eine leitende Position erreichen möchte. Prinzipiell natürlich keine schlechten Voraussetzungen, denn so wird Mehrarbeit zu Überstunden, die man ausgleichen kann, man hat anders als als Lehrkraft einen klaren Feierabend und ein Wochenende an dem niemand erwartet, dass gearbeitet wird, Zuständigkeiten sind klar geregelt, es herrscht eine klare Trennung zwischen Arbeitsort und Zuhause und über seinen Urlaub kann man in Absprache mit seinem Vorgesetzten frei verfügen.

Allerdings gibt es – vor allem wenn man nicht aus einem solchen Arbeitsalltag kommt und im Zeitalter der digitalen Transformation gedanklich schon längst angekommen ist – auch einige Nachteile. So habe ich mich beispielsweise während meiner 70%-igen Freistellung ernsthaft 3 Jahre lang gefragt, wieso ich für drei Arbeitstage pro Woche 10 Stunden Fahrtweg mit Auto und Bahn auf mich nahm, um meist allein in einem Büro zu sitzen und vor mich hinzuarbeiten, wenn ich die gleiche Arbeit konzentrierter, effektiver und mindestens genauso gut auch zu Hause hätte verrichten können. Immerhin reden wir hier von einem knappen Dreivierteljahr Lebenszeit (1380 Stunden = ca. 60 Tage = knapp 180 8-Stunden-Tage), die ich zusätzlich zu meinen bezahlten Arbeitsstunden und auf eigene Kosten dafür geopfert habe, einer für mich sinnvollen Arbeit nachgehen zu können, bei der ich das Gefühl habe, meine Zeit nicht zu verschwenden. Und so dürfte es einer Menge Kollegen gegangen sein, bei denen vielleicht noch weit mehr Zeit auf der Strecke geblieben ist.

Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen gezeigt, dass die verpflichtende Anwesenheit im Büro ein Relikt aus dem letzten Jahrtausend ist und es lediglich auf die Art der Arbeit ankommt, die bestimmen sollte, ob die Anwesenheit im Büro wirklich erforderlich ist. Natürlich gibt es Menschen, die gerne ins Büro gehen und diese sozialen Kontakte auch brauchen, um glücklich zu sein. Andere hingegen haben keinerlei Problem damit, die Arbeitskollegen nur selten zu sehen, da man ja bei Bedarf auch mit ihnen per Telefon oder über ein Videokonferenztool sprechen kann. Ich für meinen Teil habe dank Corona nun den handfesten Beweis dafür, dass ich genauso effektiv, eigentlich sogar effektiver arbeiten kann, wenn ich nicht zwischen 5 und 6 Uhr aufstehen muss und erst um 18 Uhr oder 19 Uhr frühestens nach Hause komme, wenn ich wieder Zeit dafür habe, Sport zu machen und meine Familie regelmäßiger zu sehen, wenn ich nicht jeden Tag erschöpft von einem langen Arbeitstag ins Bett falle und keine Freizeit mehr habe. In dieser herausfordernden Zeit sind viele Strukturen entstanden, die die Arbeit im Team erleichtern. Ich habe auch das Gefühl, dass ich mit einigen meiner Kollegen weit mehr spreche als früher, sie besser kennengelernt habe, und dass wir die Aufgaben, die wir hatten, nachhaltig erfolgreich und für alle mehr als zufriedenstellend erledigen konnten. Insgesamt hat mir das letzte Jahr in vielerlei Hinsicht enorm gut getan. Natürlich achte ich darauf, dass ich meine 41h Stunden Arbeitszeit nicht überschreite sofern es nicht dienstliche Gründe gibt, jedoch fange ich als Nachteule in Absprache mit meinem Chef meist erst um 9 Uhr an und kann mir auch mitten im Tag mal eine Pause nehmen, wenn ich merke, dass ich unproduktiv bin oder wenn ich einen Termin habe. Geschieht dies, dann arbeite ich abends einfach länger oder arbeite auch mal ein paar Stunden am Wochenende, und zwar zu Zeiten, wo ich mich konzentrieren kann, nicht wenn die Stechuhr sagt, dass ich arbeiten darf.

Die Krux bei der Geschichte ist jedoch, dass ich mich manchmal bei Gedanken ertappe, die zeigen, dass ich in einem nicht zeitgemäßen System sozialisiert wurde, dem auch ich gedanklich nicht einfach so entkommen kann. Beispielsweise wenn ich an einem Tag vor 10 Uhr nicht wirklich produktiv bin oder schon um 15 Uhr Schluss mache, weil ich eine Aufgabe abgeschlossen habe und die nächste nicht mittendrin unterbrechen möchte. Es gibt jedoch auch Wochen, wo ich von Montag bis Donnerstag mehr arbeite als ich müsste und dafür ein langes Wochenende bzw. am Freitag Zeit dafür habe, mich um andere Dinge zu kümmern. Die Stunden die ich arbeiten soll, arbeite ich somit flexibel, doch habe ich das Gefühl, dass ich eigentlich trotzdem innerhalb der Kernarbeitszeit erreichbar sein sollte, habe deshalb immer mein Smartphone griffbereit und reagiere bis Dienstschluss umgehend auf Emails oder Chatnachrichten. Nicht etwa, weil ich sonst Ärger bekomme, sondern weil ich das Gefühl habe, dass es verantwortungslos wirkt, wenn mich jemand von außerhalb meines Referats, der nicht sieht, dass der 8-Stunden-Tag nicht zeitgemäß ist, innerhalb der Kernarbeitszeit nicht erreicht. Wer mich kennt, weiß, dass ich alles andere als verantwortungslos bin, doch wenn man innerhalb eines Systems lebt, muss man sich auch um die Außenwirkung Gedanken machen, weil sie teilweise auch in weitreichendere Entscheidungen über zukünftige Arbeitsfelder und Verantwortung einfließen kann.

Allerdings trifft andererseits auch meine Angewohnheit, auch außerhalb der Arbeitszeiten Emails oder Chatnachrichten zu beantworten, hier und da auf Unverständnis. Natürlich hängt dies auch teilweise damit zusammen, dass ich keinerlei Grund sehe, Arbeit und Freizeit so strikt voneinander zu trennen, wie man dies Beamten nachsagt. Ich tue das, was ich mache, aus Überzeugung und mein Beruf macht mir Spaß, weshalb ich nicht wirklich den Eindruck habe, dass es sich um Arbeit handelt. Zudem bin ich geprägt von meiner Zeit als Lehrerin: ich war seit jeher sowohl für meine Schüler als auch für meine Kollegen stets erreichbar. Wenn Schüler eine Frage haben, auf die sie eine Antwort benötigen, um weiterarbeiten zu können, dann sollten sie nicht ewig darauf warten müssen. Ebenso bekam ich in der Regel Emails von Kollegen, die etwas von mir brauchten, um weiterarbeiten zu können. Wieso also hätte ich sie warten lassen sollen bis Montagmorgen? Mit anderen Worten, ich sehe das alles sehr pragmatisch und möchte nicht 20 Emails auflaufen lassen, deren Beantwortung mich dann mehrere Stunden kostet, wenn ich sie auch direkt und mit wenig Aufwand zwischendurch kurz beantworten kann. Die Folge dieser unklaren Trennung ist jedoch, dass man in der Regel mehr arbeitet als man müsste und dass man sich stets fragt, wo die Arbeit anfängt und wo sie aufhört – ähnlich wie wenn ich in meiner Freizeit an einer Fortbildung teilnehme, ein Buch lese oder ein Video anschaue, ohne zu berücksichtigen, dass diese „Freizeitaktivität“ thematisch auch zu meinem Beruf gehört.

Kurzum: es gibt Momente, wo ich mich vom 8-Stunden-Tag eingesperrt fühle, während ich gleichzeitig überhaupt keinen Anspruch habe, den 8-Stunden-Tag zu leben. Und doch ist das System, in dem ich lebe und dem ich mich in gewisser Weise beugen muss, durch und durch geprägt von Arbeitszeiten und Arbeitsorganisation aus der Zeit der Industrialisierung. Es brauchte eine Pandemie, die viele Menschenleben gekostet hat und nach wie vor kostet, um das System zumindest zeitweise ins Wanken zu bringen. Nimmt man das, was sich in der Presse und in sozialen Medien, wie z.B. TikTok, abspielt, ernst, haben vor allem Millennials, aber auch Gen Z, im letzten Jahr ebenfalls begriffen, dass Arbeit nicht so aussehen muss, wie sie es von ihren Eltern kennen und sie stellen mittlerweile sogar diesbezüglich Ansprüche, weil sie endlich verstanden haben, was sie für ihr Wohlbefinden brauchen. Und auch wenn ich selbst vom Geburtsjahrgang eher zu Gen X gehöre als zu den Millennials, so fühle ich mich in vielen Dingen den Millennials weit näher als meiner eigenen Generation. Ich teile jedoch nicht die pessimistische Sichtweise, dass ein Großteil der jungen Generation nur an sich denkt, sondern ich glaube daran, dass sich diese Menschen einfach darüber im Klaren sind, dass die Arbeitswelt im 21. Jahrhundert nicht mehr so aussehen muss, wie sie dies bisher getan hat, und dass sie auch bereit sind, die neue Art zu arbeiten mitzugestalten, sodass die Gesellschaft letztendlich davon profitieren wird. Interessant ist übrigens, dass Visionäre des letzten Jahrhunderts, wie zum Beispiel Gene Roddenberry, Vater des Star Trek-Universums, offenbar in ihrer Gestaltung der Zukunft zu einem ähnlichen Schluss gekommen sind.

Die große Frage ist, ob die Verantwortlichen – weltweit, in allen Branchen – den Mut dazu haben werden, nicht nur zu erkennen, dass das System nicht mehr zeitgemäß ist, sondern auch nachhaltig etwas daran zu verändern, indem Risiken eingegangen werden, Neues ausprobiert wird, um den Ansprüchen der digitalen Transformation gerecht zu werden und richtige Innovationen zu ermöglichen – nicht nur die Pseudo-Innovationen, die bisher als Innovationen verkauft worden sind? Und wird sich dies auf den Bildungssektor ebenfalls auswirken? Werden wir eine Lehre aus der Corona-Pandemie ziehen und Chancen erkennen, anstatt lediglich zum alten Status Quo zurückzukehren?

Für mich ist eins klar: Wir leben in einer Welt der digitalen Transformation und wir haben es in den letzten zehn Jahren verpasst, uns als Gesellschaft dieser Herausforderung ernsthaft zu stellen. Stattdessen gab es halbherzige Reformen und eine Verfestigung alter Hierarchien durch vermeintliche Verbesserungen, was sich zwar sicher anfühlte, den Fortschritt jedoch bremst. So sitzen an vielen entscheidenden und wichtigen Stellen Menschen, die bereit sind, sich ins bestehende System einzufügen, die jedoch den Drive und in großen Teilen auch die Kompetenz nicht haben, die sie benötigen würden, um ihre Aufgabe gut zu erfüllen. Besonders für den Bildungsbereich habe ich den Eindruck, dass in diesen überkommenen hierarchischen Strukturen keine Menschen sitzen, die die Welt verändert wollen. Die Menschen, die das wollen, sitzen hingegen aus unterschiedlichen Gründen in Positionen fest, wo sie kaum Einfluss haben und auch nicht genügend als ernstzunehmende Innovatoren wahrgenommen werden, um eine nachhaltige Veränderung herbeiführen zu können. Auch haben sie einige Titel zu wenig, um von der Politik so ernst genommen zu werden wie Wissenschaftler, die jedoch eher den Status Quo erforschen, als Innovation zu implementieren und zum Gegenstand ihrer Forschung zu machen. Innovation jedoch braucht den Mut, Risiken einzugehen, Dinge auszuprobieren und aus Fehlern zu lernen. Aktuell werden leider lediglich Fehler gemacht, aus ihnen gelernt wird eher wenig, da meiner Ansicht nach selten versucht wird an Herausforderungen zu wachsen und stattdessen ein Rückschritt zum Altbewährten erfolgt.

Doch wie sähe (m)eine ideale (Arbeits)Welt aus? Auch wenn ich mir kurzzeitig die Frage gestellt habe, ob Vertrauensarbeitszeit eine Lösung wäre, würde ich von meinem heutigen Standpunkt aus sagen, dass dem nicht so ist. Denn mir ist bewusst, dass es Menschen gibt, die dies ausnutzen würden, weil sie nicht so sehr das Gemeinwohl im Blick haben als ihre eigene Bequemlichkeit, und andere würden aufgrund ihres immanenten Perfektionismus und Idealismus dem Burnout nicht lange entgehen. Was ich mir hingegen gut vorstellen könnte ist ein gewisses Maß an Freiheit bezüglich der Einteilung der Arbeitszeit und innerhalb der vereinbarten Arbeitsstunden eine persönliche Flexibilität, sich an erwarteten sichtbaren Ergebnissen bzw. gemeinsam im Team festgelegten Meilensteinen orientieren zu können. Dies würde vor allem denjenigen gerecht werden, die zügig arbeiten, denn sie wären hier und da vielleicht ein paar Stunden früher fertig, während diejenigen, die gerne trödeln, ihre Zeit absitzen und an der Stechuhr warten, bis exakt das Ende der offiziellen Dienstzeit erreicht ist, ihre Haltung vielleicht überdenken würden und Ziele vor Augen hätten mit denen sie sich identifizieren können. Ob man im Büro, von zu Hause (also aus dem Homeoffice) oder von einem beliebigen Ort (also vom Remote Office) aus arbeitet, sollte jedem freigestellt sein – sofern es keine dienstlichen Gründe für die Anwesenheit im Büro gibt. Wann man arbeitet, sollte innerhalb eines bestimmten, im Team vereinbarten Rahmens flexibel sein, sodass man sich seine Arbeit auf Zeiten legen kann, zu denen man produktiv ist. Trotz allem ist es selbstverständlich, dass es bestimmte Termine gibt, die für eine erfolgreiche Zusammenarbeit notwendig sind, beispielsweise Teambesprechungen und Meetings, die die gesamte Organisation voranbringen. Doch das gemeinsame Ziel sollte dafür ausschlaggebend sein, nicht der indirekte Wunsch nach Kontrolle. Das Misstrauen, das den Kontrollzwang auslöst, sollte durch das Vertrauen ersetzt werden, das eine Gemeinschaft ausmacht. Wer dem Gemeinwohl nachweislich entgegenwirkt, muss eben gehen – und zwar zu seinem eigenen Wohl, da jeder Mensch eine Aufgabe verdient hat, die ihn erfüllt.

Besonders wichtig finde ich es allerdings, dass man sich allgemein mit seinem Arbeitgeber und der gemeinsamen Mission identifizieren kann. Dazu gehört auch, dass die Verantwortung, die jeder Mitarbeiter erhält, seinen Kompetenzen und seinen persönlichen Zielen entspricht. Dies löst natürlich alte Strukturen ab, die darauf beruhen, dass beispielsweise Personen in Leitungspositionen nicht ortsunabhängig arbeiten dürfen, eröffnet jedoch dem Betrieb ungeahnte Möglichkeiten, weil sich der Bewerberpool dementsprechend vergrößert und nicht wie bisher durch für die Arbeit irrelevante Faktoren wie geographische Nähe verkleinert. Im Gegenzug dazu wird jedoch auch Kompetenz aufgewertet, was nicht nur bereits fähige Mitarbeiter motiviert, diese Kompetenz vollkommen in den Dienst des Arbeitgebers zu stellen, sondern auch Mitarbeiter, die noch über nicht genutzte Potenziale verfügen, dazu anspornt, sich weiterzubilden. Hier kommen Selbstwirksamkeit und Wertschätzung zusammen und schaffen Entwicklungspotenziale, die dem Gemeinwohl nachhaltig dienen. Weltweit erfolgreiche Unternehmen, wie z.B. Google und 3M setzen im Übrigen auch auf das innovative Potenzial, das in ihren Mitarbeitern schlummert, jedoch durch alltägliche Arbeiten erstickt wird: in diesen Firmen gibt es festgelegte Freiräume, oft „Genius Hour“ genannt, um kreativ zu sein und eigene Projekte zu verfolgen. Dies fördert für den Arbeitgeber relevante Innovationen, die im Endeffekt nicht nur dem Arbeitgeber, sondern der Gesellschaft zugute kommen, weil sie ermöglichen, was seit jeher genetisch in der Menschheit verankert ist: Fortschritt.

Doch was haben diese Gedanken nun auf einem Blog zu suchen, der sich dem Lernen im 21. Jahrhundert verschrieben hat? Nichts und alles. Natürlich geht es in diesem Blogpost um viele Dinge, die per se nichts mit dem Lernen zu tun haben und sich vielleicht auch hier und da nach den Gedanken einer Person anhören, die im schulischen System und auch im daran angrenzenden bildungsorientierten System ihren Platz bisher nicht gefunden hat. Ich würde den Ball jedoch zurückspielen und in den Raum werfen, dass das System vielleicht einfach mal über seinen eigenen Tellerrand hinausblicken und mit der Zeit gehen sollte.

Denn so elitär-akademisch und bildungsfern meine Gedanken für manche Leser klingen mögen, so ist es ja eigentlich die Aufgabe der Bildung, junge Menschen einerseits auf das Leben vorzubereiten und sie andererseits zu bemächtigen, die Gesellschaft und ihre (und unsere) Zukunft mitzugestalten. Was sie dafür lernen müssen, sind nicht von einer höheren Autorität festgelegte Lerninhalte und statisches Wissen, welches in einem fixen Rahmen erworben wird, sondern vielfältige Kompetenzen, die sie mit der notwendigen Flexibilität ausstatten, die Zukunft mitzugestalten und glücklich und zufrieden zu sein. Dazu ist es notwendig, ihnen Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, ihre Potenziale zu fördern und sie für die Verantwortung, die sie tragen werden, vorzubereiten. Denn niemand weiß, wir die Welt in 5-10 Jahren oder gar in 20 Jahren aussehen wird. Das einzige, was wir den Kindern und Jugendlichen mit auf den Weg geben können, sind diese Kompetenzen. Ob die Arbeitswelt, die sie dann nach ihrer Schulzeit betreten werden und in der sie sich aller Wahrscheinlichkeit nach lebenslang weiterbilden werden, dann 1:1 die Inhalte, mit denen sie sich auseinandergesetzt haben, abrufen wird, sei dahingestellt. Doch das, was sie innerhalb des Bildungssystems vorgelebt bekommen, wird sie ein Leben lang prägen.

Selbstverständlich heißt das nicht, dass die Schule, wie wir sie kennen, komplett abgeschafft werden sollte oder dass Lehrkräfte nicht mehr benötigt werden. Doch was wir unter Schule oder Bildung verstehen und welche Rolle den Erwachsenen, die mit Kindern und Jugendlichen innerhalb dieses Systems arbeiten, zukommt, muss dringend neu gedacht und neu gelebt werden. Dazu ist ein flexibles System nötig, das trotzdem über gewisse Strukturen verfügt. Denn Kinder und Jugendliche benötigen Strukturen, die ihnen später als Orientierung dienen können. Doch diese Strukturen sollten nicht unbedingt nur „Verbesserungen“ des Status Quo, sondern wirklich neu sein. Denkbar wäre beispielsweise, dass die Einteilung in Klassenstufen, Stunden und Fächer aufgehoben wird, dass den Lernenden Herausforderungen zur Auswahl gestellt werden, die sie gemeinschaftlich bewältigen können und die für sie relevant sind, dass sie sich selbst mit Unterstützung von Erwachsenen und Gleichaltrigen Ziele setzen und diese evaluieren lernen anstatt ihren Wert als Menschen im schlimmsten Fall an Noten festzumachen. Auch müsste die Mauer zwischen Schule und Realität eingerissen werden, sodass die Schule vielfältige Verbindungen zur realen Welt unterhält und auch Erwachsene, die nicht an der Schule arbeiten, einlädt, die neue Lernkultur mitzugestalten. Dies setzt natürlich voraus, dass eine aussagekräftigere Alternative zur aktuellen Prüfungskultur gefunden wird.  Außerdem, ähnlich wie die „Genius Hour“ in erfolgreichen Unternehmen, sollten die Lernenden einen Teil ihrer Lernzeit dazu nutzen dürfen, eigene Interessen zu verfolgen. Wenn Schule wieder zum relevanten Lernraum und sich gleichzeitig nicht vom Lebensraum der Lernenden abgrenzen würde, dann wäre vermutlich selbst die Frage nach der Notwendigkeit einer Anwesenheitspflicht obsolet, weil sich Lerner und erwachsene wie gleichaltrige Lernpartner gerne treffen würden, um gemeinsam die Welt zu verbessern.

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