„Make it so, Commander Data!“ – Über die Akzeptanz von „Künstlicher Intelligenz“

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Seit einigen Jahren wird vor allem in den Medien zunehmend über die Potenziale und Herausforderungen von Künstlicher Intelligenz, oft in Verbindung mit Robotik, gesprochen. Dies führt in unterschiedlichen Kulturkreisen zu ganz verschiedenen Reaktionen. Der Westen, alle voran Deutschland, sieht das Thema in der Regel sehr kritisch und reagiert oft ablehnend auf neue (und sehr spannende) Entwicklungen. In Asien hingegen wird ganz anders damit umgegangen: beispielsweise werden in Japan Roboter, die menschliche Aufgaben übernehmen, mit offenen Armen empfangen. Betrachtet man die Situation näher, so ergeben sich interessante Erkenntnisse, die neben kulturellen Gründen unter anderem auch auf gängige Motive aus der Literatur und der Populärkultur zurückzuführen sind.

Es gibt beispielsweise unzählige Berichte und Videos, die zeigen, wie in Japan Roboter in der Pflege eingesetzt werden. Der Mangel an Pflegekräften, die steigende Lebenserwartung und der Rückgang der Geburtenrate wird in Japan begleitet von einer gewissen Zurückhaltung gegenüber Zuwanderung, um wenigstens dem Arbeitskräftemangel entgegenzuwirken. Doch obwohl wir in Deutschland mit einer ähnlichen Situation kämpfen, die aktuell durch Pflegekräfte aus dem Ausland ansatzweise überbrückt werden kann, ist anzunehmen, dass hierzulande Roboter aufgrund mangelnder Akzeptanz nicht so schnell ihren Weg in Seniorenheime finden werden.

Joi Ito führt diesen Umstand in einem ausführlichen Artikel, der im Juli 2018 im Online-Magazin Wired erschien,   jedoch nicht nur auf einen größeren Pragmatismus zurück, sondern auf historische Erfahrungen und die Tatsache, dass die Glaubenssysteme des Shintoismus und des Buddhismus den Menschen gedanklich nicht über alles andere stellen, sondern auch Dinge eine Seele haben können und eine friedliche Koexistenz möglich ist. 

Angetrieben von dieser Erkenntnis, meiner Begeisterung für Science Fiction, im Besonderen das Star Trek-Universum, und der Beschäftigung mit Japanologie, Asian American Studies (Geschichte, Literatur und Film) während meines Studiums, wurde mir allmählich ein größerer Zusammenhang bewusst, der durchaus erklären könnte, wieso die Ankunft von „künstlicher Intelligenz“ im Westen eine so große Ablehnung, gepaart mit (irrationalen) dystopischen Vorstellungen der nahenden Beherrschung durch Roboter, erfährt. Da ich mich vor allem in den genannten Gebieten auskenne und viele amerikanische Einflüsse sich auch auf Europa auswirken, beziehe ich mich in diesem Artikel nur vereinzelt auf den europäischen Kulturkreis, doch gehe ich davon aus, dass es auch bei uns in Film und Literatur zahlreiche Beispiele gibt, die unsere Angst vor dem Unbekannten miterklären können.

Auch wenn das, was wir „Künstliche Intelligenz“ nennen, nichts mit wahrer Intelligenz zu tun hat, sondern es um „schwache“ künstliche Intelligenz geht, also verhältnismäßig simple Verfahren des maschinellen Lernens, so lässt uns unser kultureller Hintergrund sofort an unzählige Androiden aus Filmen denken, die als autonom denkende und mitunter fühlende Wesen oder gar als eine dem Menschen überlegene Super-KI eingestuft werden können. Sie sind entweder dem Menschen wohlgesonnen und helfen ihm, oder aber sie versuchen, die Menschheit zu versklaven. Nicht selten wird diese Dichotomie auch explizit in die Geschichte integriert, wenn zum Beispiel in Star Trek: The Next Generation Mr. Data mit Lore plötzlich einen bösen Zwilling bekommt.

Wenn wir etwa in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts zurückgehen und die Darstellung von Androiden in verschiedenen Kulturen in der Populärkultur vergleichen, so ging es im deutschen Film Metropolis aus dem Jahre 1927 um einen Roboter namens Maria, der die Welt ins Chaos stürzt. Obwohl nicht außer Acht gelassen darf, dass Maria mit einer bestimmten Absicht von einem Menschen gemacht wurde, bleibt im Allgemeinen vor allem ihre Bösartigkeit im Gedächtnis.

Im Gegensatz dazu erblickte im Jahre 1952 in Japan Astroboy das Licht der Welt. Bei ihm handelt es sich um einen androiden Jungen, der in einer Welt lebt, in der Menschen und Roboter friedlich koexistieren. Im Laufe seines Lebens kämpft er für das Gute und meist gegen Menschen, die Roboter hassen, gegen amoklaufende Roboter oder außerirdische Eindringlinge.

Seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben Geschichten um Androiden sich in Science Fiction-Serien und -Filmen um ein Vielfaches multipliziert. Dabei ist auffällig, dass es sowohl dem Menschen wohlgesonnene Roboter und Androiden gibt, als auch solche, die den Menschen beherrschen wollen. Zu den „freundlichen“ Androiden gehören z.B. R2-D2 und C-3PO aus Star Wars, Mr. Data aus Star Trek: The Next Generation und Soji Asha aus der Serie Star Trek: Picard, in welcher es grundlegend darum geht, dass Jean-Luc Picard die Zerstörung aller Androiden durch eine romulanische Sekte verhindert, bevor er selbst (Achtung, Spoiler Alert!) nachdem er einem Hirnleiden erlegen ist, in einen künstlichen Körper transferiert wird, um sein Leben fortsetzen zu können. Dem gegenübergestellt sind  – teilweise innerhalb desselben Universums – dem Menschen feindlich gesonnenen Roboter wie die Borg aus Star Trek, der Roboterhund aus Black Mirror, der stark dem Roboter Spot von Boston Dynamics ähnelt, 

oder Sutra aus Star Trek: Picard.

Besonders interessant ist, dass die Androiden in den Filmen und Serien, die seit der Jahrtausendwende entstanden sind, immer öfter über Emotionen verfügen und damit menschlicher sind als ihre Vorfahren und die Grenze dessen, was Mensch und Roboter früher noch trennte, überwunden haben. Vermutlich ist das etwas, was dazu beiträgt, dass wir bei Künstlicher Intelligenz sofort an eine empfindende „starke“ oder sogar dem Menschen überlegene Super-KI denken, die ein eigenes Bewusstsein hat – auch wenn diese Sorge sehr irrational ist, da wir heute sogar noch weit von einer „starken“ KI, die der Transferleistung mächtig wäre, entfernt sind und diese Arten der künstlichen Intelligenz sich nachweislich nicht einfach aus der „schwachen KI“, mit der wir es heute zu tun haben, entwickeln werden. Die Vorstellung, das dies so kommen könnte, beruht auf der menschlichen Angewohnheit, die Dinge, die wahrgenommen werden, aus menschlicher Sicht zu interpretieren, etwa wenn zur Musik bewegende Roboter „glücklich“ wirken.

Doch diese Art der binären Auseinandersetzung mit dem Unbekannten gibt es nicht erst seit gestern. Wenn man  beispielsweise die englische bzw. amerikanische Literatur und amerikanische Filme genauer betrachtet, so stößt man auf die Motive des „Noble Savage“ und des „Wretched Indian“ aus dem 17. Jahrhundert, sowie über das Konzept von Racist Love (und Racist Hate) von Frank Chin und Jeffrey Chan aus den 1970ern, welches auch heute noch fest in der amerikanischen Gesellschaft verankert ist. Dies ist u.a. daran erkennbar, dass bis heute asiatisch-stämmige Amerikaner als „Model Minority“ bezeichnet werden,

während es gleichzeitig Gewalt gegen sie gibt – zuletzt aufgrund der Corona-Pandemie, welche Trump als „Chinese virus“ bezeichnete.

Der Mythos des guten „Indianers“ und des kriegerischen „Indianers“ ist uns vermutlich allen aus den Winnetou-Erzählungen von Karl May, hinreichend bekannt. Ein weiteres Beispiel aus Film und Literatur finden sich jedoch auch in der Geschichte von Pocahontas, die oft als „Indianische Prinzessin“ bezeichnet wird, was sehr schnell klar macht, dass hier westlich angehauchte kulturelle Vorstellungen benutzt wurden, um die Frau zu kategorisieren, die der Legende nach dem Westen half und deren exemplarisches Verhalten tradiert wurde (das sogenannten Pocahontas Perplex). Der gleichnamige Disney-Film zeigt sehr eindrücklich, wie viel (amerikanischer) Rassismus sich in dieser Geschichte verbirgt.

Ein weiteres Beispiel dafür ist die Geschichte von Mulan, in der es um asiatische Stereotypen geht. Auch sie sind lange Tradition in der amerikanischen Literatur und dem amerikanischen Film. Dies gründet auf die Geschichte der Vereinigten Staaten und ihren ambivalenten Umgang mit dem „Fremden“. Denn zum einen hätte es ohne asiatische „Gastarbeiter“ bzw. de facto Einwanderer keine Eisenbahn gegeben, doch dies hielt niemanden davon ab, eine Menge Gesetze zu erlassen, die Asiaten an der Einwanderung hindern sollten und benachteiligten (z.B. Chinese Exclusion Act und das Gentlemen’s Agreement),  da sie als „Yellow Peril“ wahrgenommen wurden, was u.a. darin kultminierte, dass während des 2. Weltkriegs ca. 120.000 Personen mit japanischen Wurzeln als angebliche Kollaborateure Japans interniert wurden, während ihre Söhne als amerikanische Bürger das Land verteidigten, welches ihre Eltern gefangen hielt. Sie taten dies u.a. als Mitglieder des bis heute in der amerikanischen Militärgeschichte meistdekorierten Regiments, dem 442nd Infantry Regiment.

Zu den bekanntesten asiatischen Stereotypen gehören Charlie Chan, der „gute“ Chinese, und Fu Manchu, der „böse“ Chinese, die beide zu Beginn des 20. Jahrhunderts (1925 bzw. 1913) erstmalig in der amerikanischen Literatur auftauchten und dann den Sprung auf die Filmleinwand schafften.

Wenn in diesem Artikel auch nur einige wenige Beispiele herausgegriffen wurden, dürfte dies ausreichend darlegen, dass unsere gespaltene und tendenziell eher ablehnende Haltung gegenüber dem Unbekannten  kulturelle Ursachen hat und man daher niemandem vorwerfen kann, den Fortschritt aus unlauteren Gründen aufhalten zu wollen. Doch im 21. Jahrhundert, in einer Zeit, in der wir uns vielen Herausforderungen gegenübersehen, die schnellstmöglich gelöst werden müssen und bei deren Lösung uns die „künstliche Intelligenz“ aller Wahrscheinlichkeit nach massiv helfen kann (z.B. bei der Energiewende), müssen wir uns dieser kulturell bedingten Ablehnungshaltung bewusst stellen und erkennen, dass es sich bei allem, was wir heute unter diesem Begriff verstehen, um etwas Menschgemachtes handelt, das natürlich – wie Worte, wie Feuer – von Menschen missbraucht werden kann. Aber da die Potenziale langfristig ohne Zweifel überwiegen werden und Herausforderungen dazu da sind, überwunden zu werden, müssen wir uns auch in Europa mit diesem Thema ohne Verhinderungsmentalität auseinandersetzen und es aktiv mitgestalten. Denn wir haben die Zukunft in der Hand – wenn wir sie uns nicht von fortschrittlicher denkenden Nationen aus der Hand nehmen lassen.

 

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