Online-Fortbildung LPM Saarbrücken: „Real-Life-Tasks im sozialen Web“ mit Dr. Christian Ollivier (Université de la Réunion)

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Am 4. Februar 2013 fand eine Online-Fortbildung zum Thema „Real-Life-Tasks im sozialen Web: Nutzung von Web 2.0-Websites zum Publizieren und Kommunizieren mit Native Speakern“ mit Dr. Christian Ollivier von der Université de la Réunion statt. Er ist Mitherausgeber des französischsprachigen „Le Web 2.0 en classe de langue“ (Blog zum Buch) und Autor des Artikels „Real-Life-Tasks im sozialen Web“ in dem im Herbst von Jürgen Wagner und Verena Heckmann herausgegebenen „Praxisbuch Web 2.0„.

Für Christian Ollivier ist der Lernende ein sozial Handelnder, weshalb die Handlungsorientierung für ihn im Fremdsprachenunterricht an erster Stelle steht. Die Handlungsorientierung beinhaltet für ihn ganz allgemein, dass der Lernende etwas mit Anderen tut, sei die Handlung sprachlicher oder außersprachlicher Natur.

Im fremdsprachlichen Klassenzimmer, einem „Ort zum Proben“, werden die Lernenden laut Ollivier mit kommunikativen Aufgaben didaktischer Natur konfrontiert, die es ihnen ermöglichen sollen, für den „Ernstfall“ zu proben. Diese Aufgaben stünden zwar in einem indirekten Zusammenhang mit realen Aufgaben und seien darauf ausgerichtet, die kommunikative Kompetenz des Lernenden zu entwickeln. Mit dem wirklichen Leben haben sie jedoch selten etwas zu tun.

Um die Grenzen solcher „didaktischen“ Aufgabenstellungen aufzuzeigen, wurde das klassische Beispiel der Postkarte, die aus dem Urlaub an einen französischen Freund geschrieben wird, genannt. Dabei handelt es sich um eine realitätsferne Simulation einer realen Situation, mit der ein heutiger Schüler vermutlich niemals konfrontiert sein wird: Weder schreibt er Postkarten, noch wird er einem gleichaltrigen Freund auf Französisch übers Wetter am Urlaubsort berichten und ihn davon in Kenntnis setzen, wann er zurückkehren wird. Somit fehlt dieser fiktiven Postkarte der soziale Wert, der die Aufgabenstellung zu einem Real-Life-Task machen würde. Hinzu käme noch die Tatsache, dass hier der „typische Freund“ auftauche, der nirgendwo im wirklichen Leben – wo Freundschaft eins der am heißesten diskutierten Themen sei – existiere.

Etwas allgemeiner formuliert werden die Grenzen solcher Aufgaben von der asymetrischen Beziehung zwischen Lehrer und Schüler bestimmt. Beide spielen Rollen und handeln keineswegs als reale Personen. Somit findet keine Kommunikation statt, sondern der Schüler lernt lediglich, bestimmte Textsorten an einen Lehrer gerichtet zu schreiben.

Wenn Kommunikation und Handeln zusammentreffen sollen, dann muss die Verwendung der Sprache eine soziale Handlung darstellen. Möchten wir die kommunikative Kompetenz unserer SchülerInnen fördern, dann müssen wir sie dazu trainieren, ganz bestimmten sozialen Beziehungen entsprechend zu handeln. Ziel ist es also kompetente sozial Handelnde auszubilden.

Um dieses Ziel zu erreichen, müssen Real-Life-Tasks gestellt werden, die den Lernenden dazu animieren, mit den verschiedensten Personen zu kommunizieren und dabei sprachlich zu handeln. Nur durch ein Erleben unterschiedlicher interpersonaler Beziehungen kann man wahre Kommunikationskompetenz entwickeln.

Das Web 2.0 ist das ideale Medium, um für den „Ernstfall“ zu proben. Es ist eine Plattform der kollektiven Intelligenz, auf der Menschen aus aller Welt interagieren und zusammenarbeiten.

Beispiele für Internetseiten, die den Lernenden mit einer realen Kommunikationssituation konfrontieren sind zum Beispiel Wikipedia und diverse Foren. Lernende des Niveaus B2 können z.B. selbst Wikipediaartikel über ihre Lebenswelt (z.B. ihren Wohnort …) verfassen, während sich bis zum Niveau B1 die Interaktion mit Muttersprachlern in diversen Foren anbietet. An Foren kann sowohl aktiv als auch reaktiv teilgenommen werden. So können zum Beispiel bei Yahoo Answers aktiv Fragen zu diversen interkulturellen Themen gestellt werden: Meinungen von Muttersprachlern zu aktuellen Themen, Fragen zu Themen,  die im Unterricht behandelt werden oder es kann auch nach der Definition von abstrakten Konzepten wie „Glück“ gefragt werden. Ebenso ist es z.B. bei der Behandlung vom Teilungsartikel möglich, ein Rezept verfassen zu lassen und es in ein entsprechendes Forum zu stellen. Dies ist weitaus näher an der Realität und damit motivierender als ein Rezept auf ein Blatt zu schreiben und dem Lehrer zur Korrektur zu geben. Im Gegenzug zu dieser aktiven Teilnahme an Foren können natürlich auch gestellte Fragen zum eigenen Land beantwortet werden, so zum Beispiel auf Reiseforen. Das Feedback ist in allen diesen Fällen nicht sprachlicher Natur, wie dies bei der Pseudo-Kommunikation mit dem Lehrer der Fall wäre, sondern es handelt sich um eine echte Kommunikation, die eine Resonanz auf den Inhalt des Geschriebenen liefert – der Inhalt steht somit wie in der richtigen Kommunikationssituation vor der grammatischen Form.

Ein weiteres Web 2.0 Tool, welches ein großes Potenzial für den Französischunterricht bietet ist das Projekt Babelweb. Es handelt sich dabei um ein Lifelong Learning Programm der EU und basiert auf dem wünschenswerten interaktionalen Ansatz des Sprachenlernens. Hier können romanische Sprachen in der Kommunikation und Interaktion mit Muttersprachlern erlernt werden. Es geht darum, sich gegenseitig zu verstehen und zu verständigen. Das Projekt Babelweb bietet dem Sprachlerner an, an verschiedenen Blogs mitzuwirken, die mehrere Kompetenzen (sprechen, schreiben, usw.) zugleich ansprechen. Dabei kann sich der Lernende mit Themen wie Reisen (Voyages, Voyages) und seiner eigenen Lebenswelt (Dessine-moi ta vie) auseinander setzen, sowie seiner Kreativität freien Lauf lassen (Un monde absurde). Das an Lehrpersonen gerichtete Babelweb.pro befasst sich hingegen mit der Dissemination und der Nutzung des Web 2.0 im Fremdsprachenunterricht. Alle Beiträge werden von einem Moderatorenteam gelesen, um die Einhaltung bestimmter Regeln (z.B. dürfen keine Links veröffentlicht werden) zu gewähren und dem Lernenden einen gewissen Schutz zuteilwerden zu lassen.

Zusammenfassend kann man also sagen, dass der interaktionale Ansatz darauf abzielt, dem Lernenden Real-Life-Tasks anzubieten, die ihm die Möglichkeit geben, kommunikative Kompetenz zu entwickeln. Dabei soll die soziale Komponente von Interaktion berücksichtigt werden, d.h. Handlung und Kommunikation fließen zusammen. Der Lernende ist sozialer Akteur und verwendet in dieser Funktion die Fremdsprache. Dies führt unweigerlich zu einer Steigerung der Motivation, da das sprachliche Handeln in einen sinnvollen Kontext eingebunden ist und nicht an den Lehrer gerichtet ist. Dem Lehrenden kommt lediglich die Funktion des „facilitators“ zu, der bei Bedarf helfend eingreift.

Insgesamt betrachtet war diese Fortbildung nicht nur äußerst kompetent vorbereitet und gehalten, sondern sie war für mich auch überaus aufschlussreich, brachte sie doch auf den Punkt, was ich schon seit längerer Zeit denke. Bereits während meiner Ausbildung warf ich vielen Aufgaben aus Lehrbüchern vor, dass sie an der Realität des Lernenden vorbei“schießen“ und aus diesem Grund nicht besonders motivierend sind. Dieser Eindruck verstärkte sich, als ich einen Fernkurs zur Didaktik von Französisch als Fremdsprache beim CNED in Frankreich belegte, bei dem es um die Formulierung von Aufgaben ging. Die dort vertretene Haltung widersprach in großen Teilen dem, was mir in meinem Arbeitsalltag in Lehrbüchern begegnete. Dies war auch der Zeitpunkt als ich verstärkt anfing, das Web 2.0 im Unterricht zu benutzen, eben weil mir damit viele Aufgaben realitätsnäher erschienen. Die heutige Jugend schreibt, wie auch Christian Ollivier bemerkte, keine Postkarten mehr und ein großer Teil ihrer Kommunikation findet im Internet (z.B. auf Facebook) statt. Wieso also nicht hier ansetzen und die gestellten Aufgaben an diese Realität anpassen? Natürlich versuchen die heutigen Lehrwerke mehr als früher, einen Realitätsbezug herzustellen, jedoch hinken sie der rasanten Entwicklung der neuen Medien stets einen Schritt hinterher. War gestern noch die SMS-Sprache in aller Munde, sollte heute vielleicht Twitter oder WhatsApp Einzug ins Schulbuch halten.

Und eben weil wir möglichst nahe an der Realität agieren sollten, bin ich auch vehement dagegen, Blogs nicht öffentlich zu führen oder abgeschottete Lernplattformen wie Moodle zu verwenden, wenn es eine praktikable Alternative gibt. Gegebenenfalls muss man dann eben seine Aufgabenstellung dahingehend ändern, dass keine persönlichen Daten preisgegeben werden, indem man z.B. auf fiktive Identitäten im Rahmen einer „simulation globale“ zurückgreift. Wieso sollten wir den Schülern einen Schutz suggerieren, der im richtigen Leben so gut wie nicht existiert bzw. den nur sie selbst durch bewusste Verhaltensweisen sich verschaffen können. Aufs reale Leben bereiten wir sie so sicher nicht vor. Vielmehr müssen wir ihnen beibringen, wie sie sich im heutigen Zeitalter der neuen Medien schützen können, obwohl vieles öffentlich ist. Dazu gehört auch der verantwortungsbewusste Umgang mit Facebook & Co (inkl. der Fragen nach Datenschutz und Netiquette), den man in einem geschützten Moodleraum nur bedingt „für den Ernstfall“ einüben kann, ist doch allen bewusst, dass es sich dabei nicht um das „richtige“ Internet handelt und nur ein sehr eingeschränkter Personenkreis die Publikationen sehen wird. Ich persönlich beuge mich lieber der Realität und versuche, mit ihr zu leben und meine Lernmethoden und Unterrichtsinhalte dementsprechend anzupassen, als gegen Windmühlen zu kämpfen und zu versuchen, die Realität meinen Vorstellungen bzw. den Vorstellungen anderer Menschen anzupassen.

Wenn Sie die hervorragende Fortbildung lieber selbst erleben wollen, so finden Sie die Aufzeichnung dazu hier.

Bildquellen

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