Sprache gestalten – Zukunft ermöglichen: Warum inklusive Formulierungen mehr sind als eine Stilfrage

0

In der Zukunft des Lernens geht es nicht um neue Technologien oder innovative Methoden. Es geht um ein neues Verständnis von Bildung – als Ermöglichungs- und Gestaltungsraum für alle. In diesem Verständnis ist Sprache nicht nur Medium, sondern Haltung.

Ich hatte bereits vor einigen Jahren über die Notwendigkeit neuer Begrifflichkeiten in der Bildung geschrieben. Doch in letzter Zeit ist mir immer klarer geworden: Wir leben nach wie vor in einer Gesellschaft, in der traditionelle – häufig männlich geprägte – Denkmuster tief verankert sind. Wer hinsieht, spürt das schnell: in der Art, wie gesprochen wird, wer gehört wird – und wer nicht.

Auch wenn sich vieles bewegt, zeigen alltägliche Situationen, dass Gleichwertigkeit noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ich erlebe es nicht jeden Tag, aber regelmäßig, mindestens alle paar Tage: dass meine Perspektive als Frau nicht den gleichen Stellenwert bekommt wie die meiner männlichen Kollegen, dass Verhalten kommentarlos hingenommen wird, das übergriffig, belehrend oder bevormundend wirkt. Und selbst wenn all das oft nicht böse gemeint ist, sondern einfach „normal“ erscheint – genau das zeigt, wie tief diese Muster reichen. Und wie wichtig es ist, sie zu benennen.

Viele derjenigen, die Entscheidungen treffen, Diskurse prägen und Standards setzen, gehören immer noch einer relativ homogenen Gruppe an – oft männlich, oft weiß, oft in festen Deutungsrahmen sozialisiert. Das ist weder eine Pauschalisierung noch eine Anklage, sondern eine Beobachtung aus meiner persönlichen Erfahrung. Aber es ist eine, die Konsequenzen hat. Denn sie beeinflusst, wie Vielfalt wahrgenommen und behandelt wird – in der Sprache wie im Handeln.

Deshalb genügt es nicht, wenn heute in offiziellen Texten immerhin Frauen und Männer genannt werden. Das ist ein Anfang – aber kein Ziel. Ja, wir sehen Fortschritte: In den sozialen Medien, in Alltagsgesprächen, in einzelnen journalistischen Formaten und unter engagierten Einzelpersonen hat sich bereits ein deutlich erweitertes Bewusstsein für inklusive Sprache entwickelt. Viele Menschen – insbesondere jüngere Generationen – setzen sich zunehmend selbstverständlich für eine Sprache ein, die vielfältige Identitäten sichtbar macht. Sie diskutieren Begriffe, experimentieren mit Formen und entwickeln kreative Lösungen, um gerechter und respektvoller zu kommunizieren. Und sie sprechen nicht nur über, sondern vor allem mit mit den Personen, denen sie zeigen möchten, dass sie selbstverständlich mit eingeschlossen sind.

Doch gerade in Bereichen, in denen es besonders wichtig wäre, bleibt diese Entwicklung oft aus: in offiziellen Texten, in Formularen, auf Webseiten öffentlicher Institutionen oder in den Angeboten von Bildungseinrichtungen. Dort herrscht häufig weiterhin eine Sprache vor, die das traditionelle binäre Geschlechterverständnis reproduziert – oder Diversität gar nicht erst thematisiert. Dabei geht es nicht um Perfektion oder eine universelle sprachliche Norm, sondern um die Frage, welches Menschenbild durch Sprache transportiert wird – und wer sich mitgemeint fühlen kann.

Öffentliche Einrichtungen und Bildungseinrichtungen nehmen eine besondere Rolle ein. Sie gestalten nicht nur Programme, sie prägen Haltung. Sie sind Orte, an denen gesellschaftliche Werte erfahrbar werden – und an denen Zukunft vorgelebt wird. Wenn gerade diese Institutionen inklusive Sprache bewusst und sichtbar nutzen, senden sie eine wichtige Botschaft: Hier beginnt die Zukunft. Und sie gehört allen.

Inklusive Sprache ist dabei keine modische Attitüde, kein akademischer Trend und kein ideologisches Projekt. Sie ist ein Ausdruck von Haltung, Bewusstsein und Respekt. Sie zeigt, dass man bereit ist, Verantwortung zu übernehmen – für die Art, wie Menschen angesprochen, eingeschlossen oder ausgeschlossen werden. Und sie macht deutlich: Wer Bildung ernst nimmt, nimmt auch Sprache ernst. Denn Bildung beginnt in der Art, wie wir miteinander reden.

Sprache ist nie neutral

Worte formen unsere Wahrnehmung. Sie geben vor, wer sichtbar ist – und wer nicht. Wer gemeint ist – und wer nur „mitgedacht“ werden soll. In Bildungsinstitutionen, in kommunalen Angeboten, in digitalen Lernräumen ist Sprache daher nicht nebensächlich. Sie ist zentral.

Ob in Stellenausschreibungen, auf Websites, in Broschüren oder in Bildungsangeboten, die direkt an Schulen genutzt werden: Die Art, wie Menschen angesprochen werden, signalisiert, wie sehr sie als Teil des Ganzen gesehen werden. Inklusive Sprache bedeutet, nicht nur formell korrekt, sondern auch menschlich offen zu kommunizieren. Sie bedeutet, Vielfalt nicht zu verschweigen, sondern anzuerkennen – und damit Bildungsräume zu öffnen.

Inklusive Sprache ist ein Zukunftskompass

In einer lernenden Gesellschaft, die auf Teilhabe, Kooperation und Co-Kreation setzt, braucht es Kommunikationsformen, die diese Werte widerspiegeln. Inklusive Formulierungen sind Ausdruck dessen. Sie wirken wie ein Kompass: Sie zeigen an, ob eine Organisation bereit ist, sich selbst zu hinterfragen, mit der Zeit zu gehen und allen Menschen respektvoll zu begegnen.

Dabei geht es nicht nur um Gendergerechtigkeit. Es geht um Barrierefreiheit in der Sprache. Um kulturelle Sensibilität. Um die Frage: Wie sprechen wir über Menschen, die nicht der vergangenen gesellschaftlichen Norm entsprechen – und wie sprechen wir sie an, wie sorgen wir dafür, dass sie zur gegenwärtigen und zukünftigen gesellschaftlichen Norm gehören?

Wie gegendert werden kann – und warum der Doppelpunkt derzeit die inklusivste und gestalterisch überzeugendste Variante ist

Inklusive Sprache kann auf verschiedene Weise umgesetzt werden – doch nicht alle Formen sind gleichermaßen gerecht und zukunftsorientiert. Inzwischen gilt der Doppelpunkt („Lernbegleiter:innen“) als die aktuell inklusivste Variante. Er wird nicht nur von vielen Menschen als visuell angenehm und lesefreundlich empfunden, sondern ist auch für Screenreader barriereärmer als andere Sonderzeichen wie das Gendersternchen oder der Unterstrich. Aus typografischer Sicht fügt er sich harmonisch in Fließtexte ein, wirkt ruhiger als der Stern und unterstützt eine gleichmäßige Textstruktur – insbesondere in digitalen Anwendungen oder auf mobilen Endgeräten.

Darüber hinaus setzt der Doppelpunkt ein bewusstes Zeichen für sprachliche Vielfalt, ohne überästhetisiert oder technisch zu wirken. Er schafft eine visuelle „Denkpause“, die dazu einlädt, über gewohnte Sprachmuster hinauszugehen – ohne den Lesefluss unnötig zu stören. Auch im journalistischen Bereich findet der Doppelpunkt zunehmend Anwendung – etwa in öffentlich-rechtlichen Redaktionen oder in medienethischen Empfehlungen –, weil er als balancierte Lösung zwischen Inklusion, Verständlichkeit und Designqualität gilt.

Genderneutrale Begriffe wie Lernende, Lernbegleitende oder Fachpersonen sind selbstverständlich ebenfalls geeignete Mittel, um Vielfalt sprachlich abzubilden. Sie sind eindeutig inklusiv und in vielen Kontexten sinnvoll. Allerdings können sie auch abstrakter oder unpersönlicher wirken, was besonders in einem Bildungskontext, in dem es um Beziehungen geht, dem Ziel von Bildung im Zeitalter der menschlichen Digitalität entgegensteht. Begriffe wie Lernbegleiter:innen oder Entscheidungsträger:innen schaffen hier eine gute Balance: Sie sind verständlich, menschlich und offen für alle Geschlechteridentitäten.

Ein häufig genannter Einwand lautet, dass gegenderte Sprache das Deutschlernen und damit die Integration von Migrant:innen erschwere. Natürlich: Wer Deutsch neu lernt, begegnet vielen Herausforderungen. Doch genau deshalb ist es wichtig, eine Sprache vorzuleben, die respektvoll, einladend und gerecht ist. Und gerade der Doppelpunkt hat hier Vorteile: Er verändert die Wortstruktur nicht, sondern fügt sich visuell dezent ein, ohne neue grammatikalische Hürden zu erzeugen. Damit ist er auch für Deutschlernende die zugänglichste Form geschlechtersensibler Sprache.

Wer sich für diese Formen entscheidet, tut das nicht aus sprachlicher Mode, sondern aus einer bewussten Haltung: um Menschen sichtbar zu machen, die in der Sprache lange übersehen wurden. Und gerade öffentliche Einrichtungen, Bildungsinstitutionen und digitale Bildungsangebote haben hier eine besondere Verantwortung. Ihre Sprache prägt das gesellschaftliche Klima – und ist Vorbild für eine Zukunft, die Vielfalt nicht nur duldet, sondern aktiv anerkennt.

Differenzierung statt Dogma

Gleichzeitig ist es wichtig, nicht in symbolischen Aktionismus oder sprachlichen Dogmatismus zu verfallen. Inklusive Sprache darf nicht zum Selbstzweck werden. Es reicht nicht, ein Sternchen zu setzen oder einen Doppelpunkt zu verwenden, wenn gleichzeitig die Haltung dahinter fehlt. Denn dann besteht ganz schnell die Gefahrt, echte und noch zu lösende Probleme als gelöst zu sehen. Doch wie bereits mit Blick auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau festgestellt, sorgt die sprachliche „Anerkennung“ von Frauen nicht dafür, dass sie als „gleich“ wahrgenommen werden – und im Kontext von Diversität sollten wir aus unseren vergangenen Erfahrungen lernen, anstatt sie zu wiederholen. Entscheidend ist also die Konsistenz zwischen Ausdruck und Handlung – zwischen Wort und Struktur.

Genauso wichtig: die Bereitschaft, sprachliche Entwicklung als Prozess zu sehen. Nicht alle Menschen fühlen sich durch dieselben Formen angesprochen. Nicht jede inklusive Form ist für jede Zielgruppe gleich verständlich. Deshalb braucht es Sensibilität, Kontextbewusstsein – und auch Gesprächsbereitschaft.

Öffentliche Einrichtungen als Vorbilder

Besonders öffentliche Einrichtungen tragen hier Verantwortung. Sie prägen mit ihrer Sprache das gesellschaftliche Klima. Wenn Schulen, Medienzentren, Verwaltungen oder Bildungsplattformen mutig und bewusst inklusiv kommunizieren, senden sie ein starkes Signal: Hier ist Vielfalt willkommen. Hier wird niemand übersehen.

Sie übernehmen damit eine doppelte Rolle: Sie wirken nach innen als Identitätsstifter und nach außen als Impulsgeber. Nicht bevormundend – sondern einladend. Nicht perfekt – aber sichtbar auf dem Weg.

Sprache als Teil von Bildungstransformation

Eine Bildung, die sich der Transformation verpflichtet fühlt – also nicht der bloßen Anpassung, sondern der aktiven Mitgestaltung von Zukunft –, kann nicht bei alten Sprachmustern stehen bleiben. Inklusive Sprache ist ein Lernprozess, der die ganze Gesellschaft betrifft. Sie ist unbequem, weil sie Unsichtbares sichtbar macht. Aber sie ist auch inspirierend, weil sie Menschen befähigt, sich selbst als Teil der Bildungswelt zu erkennen – und diese mitzugestalten.

Wer Sprache verändert, verändert nicht nur Form, sondern auch Wirklichkeit. Inklusive Sprache ist daher kein Nebenschauplatz der Bildungstransformation, sondern ein Schlüssel. Sie erlaubt es, Vielfalt ernst zu nehmen, Zugehörigkeit zu ermöglichen und Zukunft menschenwürdig zu gestalten. Jede Institution, die diesen Weg geht wird zum Vorbild. Nicht weil sie perfekt ist, sondern weil sie zeigt: Wir meinen alle. Und wir meinen es ernst.

Bildquellen

  • Diversität: erstellt mit ChatGPT
Share.

Comments are closed.