Von Adressat:innen zu Akteur:innen – Zielgruppen ernst nehmen heißt Macht teilen

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„Wir müssen die Zielgruppen mitnehmen.“ – Dieser Satz fällt oft, wenn über Bildungswandel gesprochen wird. Doch was heißt das konkret? Meist geht es dann um Lernende, Lernbegleitende, Eltern, Ausbildende oder Weiterbildner:innen. Die Formulierung suggeriert: Die einen gestalten, die anderen folgen. Doch Transformation funktioniert nicht top-down. Sie entsteht, wenn wir Verantwortung und Gestaltung auf viele Schultern verteilen – und Zielgruppen zu Mitakteur:innen werden. Dabei reicht es nicht, Beteiligung zu fordern oder so zu integrieren, dass sich alle „mitgenommen“ fühlen. Sie muss in eine neue Form von Verantwortung überführt werden – auch bei denen, die bisher selten als Gestaltende mitgedacht wurden: Lernende, Eltern, Auszubildende. Gerade Lernende dürfen nicht nur konsultiert, sondern müssen als aktive Mitautor:innen von Bildungsprozessen ernst genommen werden. Ihre Perspektive ist keine pädagogische Spielart – sie ist systemrelevant.

Oft werden Zielgruppen als homogene Cluster betrachtet: „die Lernenden“, „die Ausbildenden“, „die Schulleitungen“. Doch das greift zu kurz. Wer Lernende mit Fluchterfahrung mit angehenden Mechatroniker:innen gleichsetzt oder Eltern von Grundschulkindern mit Betriebsräten in der Weiterbildung, verkennt die Vielfalt der Realitäten.

Jede dieser Gruppen bringt spezifisches Erfahrungswissen, Bedürfnisse, Ressourcen und auch Machtlosigkeiten mit. Sie brauchen unterschiedliche Formen der Ansprache, Partizipation und Einbindung – und sie brauchen Räume, in denen ihre Perspektiven systematisch und wirksam werden können.

Co-Kreation bedeutet nicht, dass „die Politik“ entscheidet und Betroffene ihre Meinung dazu sagen dürfen. Es heißt: Die Struktur entsteht im Dialog. Lernende müssen die Möglichkeit haben, Bildungsprozesse mitzugestalten – nicht nur als Feedbackgeber:innen, sondern als Impulsgeber:innen und Akteur:innen. Für Lernende heißt das auch: Sie brauchen echte Resonanzräume – Orte, an denen ihre Erfahrungen, Fragen und Ideen Bildung konkret verändern dürfen. Dazu gehört, dass sie selbst Projekte initiieren und mit Erwachsenen zusammen Entscheidungen treffen (s. Sun Model of Co-Agency), Umfragen durchführen, Lernsettings reflektieren – nicht stellvertretend, sondern als Teil des Systems. Partizipation heißt hier nicht nur, gehört zu werden, sondern mitentscheiden zu dürfen – so wie es auch die UN-Kinderrechtskonvention fordert. Lernbegleitende müssen ebenfalls Gestaltungsspielräume erhalten – jenseits von Implementierungsdruck. Ausbilder:innen brauchen Gelegenheiten zum Experimentieren. Und Eltern sollten nicht als Risiko, sondern als Ressource für und Partner:innen in der Bildung verstanden werden.

Wer Veränderung will, muss die Veränderungsbereitschaft und -fähigkeit aller ernst nehmen. Das bedeutet auch, Macht zu teilen, Unsicherheit zuzulassen und Vielfalt nicht nur zu benennen, sondern zu ermöglichen. Partizipation ist kein Add-on, sondern eine Frage von Systemdesign. Sie beginnt nicht bei der nächsten Umfrage, sondern bei der Haltung: Wer wird gehört? Und: Wer darf mitdenken, mitentscheiden, mitverantworten? Wenn wir Bildungsräume als Möglichkeitsräume begreifen, müssen wir auch fragen: Wer darf gestalten? Und wie sieht ein System aus, das dies systematisch ermöglicht – im Kleinen wie im Großen?

Co-Kreation bedeutet nicht nur, Menschen zu stärken. Sondern auch, sie mitzunehmen in die Verantwortung. Transformation gelingt nicht durch Repräsentation allein – sondern durch systematische Einbindung. Das verlangt neue Strukturen, neue Narrative und neue Formen von Beziehung. Zielgruppen sind keine Empfänger:innen – sie sind Mitautor:innen der Bildungszukunft, und dies unabhängig von ihrem persönlichen Hintergrund. Besonders sichtbar wird das bei Eltern: Oft gelten sie als Hemmschuh für Innovation oder als schwer erreichbare Zielgruppe. Doch auch sie können bzw. müssen Verantwortung übernehmen – wenn sie nicht nur im Dialog mit Lehrkräften, sondern auch mit ihren Kindern und in gesellschaftlichen Aushandlungsprozessen eine aktive Rolle spielen. Zielgruppenbeteiligung heißt auch, diese Erwartung klar zu formulieren – und die Strukturen bereitzustellen, in denen sie wirksam werden kann.

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Bildquellen

  • Cover Future:Guide Bildung: Jr Korpa | Unsplash
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