„Wenn wir nicht aufpassen, werden Lehrer bald durch Maschinen ersetzt!“

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Bereits mehrfach habe ich diese Aussage vernommen, als ich versuchte, Kolleginnen und Kollegen davon zu überzeugen, dass sich unser Rollenverständnis grundlegend ändern muss und es im Interesse aller Kinder und Jugendlichen – und auch aller Erwachsenen – dringend einer Transformation des Lernens bedarf. Die Angst davor, ersetzt zu werden, ist jedoch nicht neu (und wird nie alt!).

Bereits in der Spiegel-Ausgabe 29 vom 12. Juli 1961 erschien ein Artikel mit dem Titel „Lehrautomaten – der Tod des Paukers“, der die damalige Sorge zum Ausdruck brachte, dass Lehrer durch Maschinen ersetzt werden könnten. Im September 2015, als immer noch Menschen vor Schulklassen standen, wurde ein Artikel auf der Webseite „Zeit online“ veröffentlicht, dessen Titel „Roboter – Der bessere Lehrer“ lautete. In dem Artikel ging es um Roboter, die in Japan die Aufgaben von Lehrkräften in Schulen übernahmen. Nicht erst seit diesem Artikel fragen sich Lehrkräfte weltweit, ob sie bald durch Roboter ersetzt werden. Diese Frage der Ersetzbarkeit eines menschlichen Lehrers scheint die Geister also seit jeher zu beschäftigen, und dies zunehmend in einer Gesellschaft, die von Digitalisierung geprägt ist. Ein Forschungsprojekt des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung kam unlängst jedoch zu dem Schluss, dass Lehrer sich nach wie vor keine Sorgen um ihre Stellen machen müssen. Kinder von einem Roboter unterrichten zu lassen, sei keine Perspektive.

Maschinen sind Werkzeuge, die einen Menschen nur ersetzen können, sofern sie genau die gleiche Arbeit verrichten können. Dies ist z.B. in der Industrie der Fall, wo ein Roboter einen Gegenstand schneller, verlässlicher, absolut identisch und damit kostengünstiger herstellen kann – zumindest sofern er richtig programmiert ist. Überträgt man diese Vorstellung aber auf die Schule, merkt man schnell, dass ein Roboter die Lehrkraft nicht ersetzen kann, weil es nicht darum geht, identische Gegenstände herzustellen, sondern lebendige Individuen für eine erfolgreiche Zukunft zu wappnen. Programmierbar sind Fakten und im Zeitalter der künstlichen Intelligenz auch anpassungsfähige Roboter, aber authentische Gefühle sind nicht programmierbar, da sie nicht berechenbar sind – und genau hier liegt der Knackpunkt: Die Aufgabe einer Lehrkraft ist es schon längst nicht mehr, Wissen zu vermitteln, sondern es geht darum, Lernenden Möglichkeiten zu bieten, für sie und ihre Zukunft relevante Kompetenzen zu erwerben. Wissen ist zwar deren Basis, aber mehr auch nicht. Aber vor allem hat die Lehrkraft eine persönliche Beziehung zu ihrer Expertise und zu den Lernenden, in deren Dienste sie ihre Expertise stellt. Diese Dimension der persönlichen Beziehung ist es, die eine Lehrkraft zu einer guten Lehrkraft macht: ihre Begeisterung überträgt sich im Idealfall auf die Lernenden, die dadurch motiviert gerne und erfolgreich lernen.

Allerdings kann ein menschlicher Lehrer eine Maschine durchaus didaktisch wertvoll einsetzen, um jedem Lernenden gerecht zu werden: Schülerorientierung und individuelle Förderung sowie die Einbeziehung von Kindern mit Lernbehinderung zählen heute zu den Anforderungen, die an Lehrkräfte gestellt werden. Indem man Computer und/oder Roboter einsetzt, um Kinder mit Lernbehinderung dabei zu unterstützen, die für sie bestmögliche Bildung zu erhalten (z.B. durch unterstützte Kommunikation), hochbegabten Kindern die Förderung zukommen zu lassen, die sie brauchen, damit sich ihre Potenziale voll entfalten können, ohne jedoch die zahlreichen normalbegabten und gesunden Kinder zu vernachlässigen, die jede(r) für sich auch sehr unterschiedlich sind, schafft man eine egalitäre Bildungslandschaft.

Ein Beispiel für diese Art der Unterstützung sind z.B. Learning Analytics, ein Trend, der ab 2011 vom (inzwischen nicht mehr veröffentlichten) Horizon Report für Schulen als relevant für den Bildungsbereich der (vom damaligen Standpunkt aus) nächsten vier bis fünf Jahre erachtet wurde und seine Relevanz zu behalten schien, während er näher rückte und Teil weitreichender Überlegungen wurde (s. Horizon Report 2017).

Es geht bei Learning Analytics um die Möglichkeit des personalisierten Lernens, basierend auf Daten zum Lernverhalten und -erfolg. Dies bringt natürlich auch mit sich, dass die Rolle der Lehrkraft überdacht und angepasst werden muss. Dass sie die dafür notwendige Flexibilität mitbringen muss, wenn sie auf Dauer das Gefühl haben möchte, etwas bewegen zu können, dürfte selbstverständlich sein. Dieses neue Rollenverständnis, bei dem es darum geht, Lernende individuell betreuen zu können und die Reflexions- und Kritikfähigkeit sowie die Kompetenzen zu fördern, die im 21. Jahrhundert für eine gesunde Weiterführung der Demokratie nötig sind, teilen unter anderem Weber und Vey (Weber, H.; Vey, K. (2015): Dem Computer fehlen Tiefgang und Geheimnis. Interview. In: Bildung Schweiz 11, S.20). Die Antwort auf die Frage, wieso es vielen Lehrern widerstrebt, ihre Lehrerrolle in einem neuen Licht zu sehen, gab George Bernard Shaw bereits 1903, als er schrieb „He who can, does. He who cannot, teaches.“ (George Bernard Shaw, Man and Superman (1903) „Maxims for Revolutionists).

Die Autoren des Endberichts zum TA-Projekt „Digitale Medien in der Bildung“ (S.70) gingen schon 2016 davon aus, dass in diesem Zusammenhang auch das Flipped Classroom-Konzept und Blended Learning nicht unbedeutend sind. Sie zitierten hier den Horizon Report (Hochschulausgabe) von 2015

Flipped Classroom und Blended Learning werden als Ausprägungen eines umfassenderen pädagogischen Wandels »from teaching to learning«, von einer lehrendenzentrierten hin zu einer lernendenzentrierten Pädagogik verstanden. (Johnson, L.; Adams Becker, S.; Estrada, V.; Freeman, A. (2015): NMC Horizon Report: 2015 Higher Education Edition. The New Media Consortium, Austin).

und folgten damit u.a. Forschern wie Prof. Dr. Markus Appel, Kommunikations- und Medienpsychologe an der Universität Konstanz-Landau, der Blended Learning zusammen mit seiner Kollegin Dr. Constanze Schreiner eine vielversprechende Zukunft prophezeit. Damit widerlegten sie den von Prof. Manfred Spitzer verbreiteten Mythos der Negativeffekte von computergestütztem Unterricht:

Die Verbindung von computer- und internetbasierten Einheiten mit face to-face-Einheiten (blended learning) zeigte im Mittel positive Auswirkungen auf den Lernerfolg. Überblicksarbeiten in diesem Bereich unterstreichen ferner, dass es auf die Art und Inhalte der Instruktion ankommt, ob Lernende von computerunterstütztem Unterricht profitieren können. (Digitale Demenz? Mythen und wissenschaftliche Befundlage zur Auswirkung von Internetnutzung, S. 15)

Somit wird auch durch Studien glaubhaft bestätigt, dass die Angst vor der Ersetzung der Lehrkraft durch einen Computer unbegründet ist. Nur ein Mensch, der eine Beziehung zu den ihn anvertrauten Kindern und Jugendlichen hat, kann ihnen Projekte und Lernszenarien anbieten, die jedes Individuum fordern und fördern.  Und dies war auch bereits 1961 klar zu sein: im eingangs zitierten Spiegelartikel findet sich folgendes Zitat des Programmierers Ken Komoski:

Jeder Lehrer, der durch eine Maschine ersetzt werden kann, verdient ersetzt zu werden.

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