Wie kann Lernen gelingen? – Lernen im Kontext der Zeit

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Die Frage danach, wie Lernen gelingen kann, ist komplex. Sie ist nicht nur eine Frage der Pädagogik, sondern auch eine Frage, die das Individuum im gesellschaftlich-historischen Kontext berücksichtigen muss. Man spricht heute oft von zeitgemäßer Bildung. Auch wenn der Begriff inzwischen umstritten ist, da kein Konsens darüber herrscht, was „zeitgemäß“ bedeutet, so halte ich ihn dennoch für einen wichtigen Begriff sofern man ihn von der (welt)politischen Lage trennt und an das Wohl der Gesellschaft und demokratische Werte koppelt.

Vergleicht man die Schule im 19. Jahrhundert und im 21. Jahrhundert, so bemerkt man eine gewisse Ähnlichkeit in der Bedeutung und der Position der Lehrkraft. Natürlich kann man nun sagen, dass die Corona-Pandemie dafür verantwortlich ist, so kann ich zumindest aus meiner Erfahrung sagen, dass es auch vor der Pandemie in vielen Klassenzimmern sehr lehrerzentriert bzw. -gesteuert zuging.

Betrachtet man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der beiden Darstellungen, so kann folgendes festgestellt werden:
Im Zeitalter der Industrialisierung hat sich die Welt drastisch verändert: Neue Erfindungen wie der Buchdruck, Fortbewegungsmittel und Maschinen sorgten dafür, dass die Menschheit mobiler wurde, dass sie Zugang zu Wissen erhalten konnte, das früher nur bestimmten Schichten zugänglich war und dass Arbeitskräfte für die Fabriken benötigt wurden. Insgesamt gab es viel neues Wissen, das erworben werden musste, um der Gesellschaft zu dienen. Die Struktur der Gesellschaft selbst veränderte sich nur bedingt. Zudem gab es in den Fabriken einen großen Bedarf an konformen Arbeitern, die sich in die dort entstehenden bzw. vorhandenen hierarchischen und von Kontrolle geprägten Strukturen einfügten. Diese Art der „Fließband“-Bildung sorgte dafür, dass die Schule auf Wissensvermittlung ausgerichtet und sehr lehrerzentriert war, da es primär um das Lernergebnis bzw. Lernprodukt ging.
Im Zeitalter der digitalen Transformation veränderte sich die Welt jedoch noch weit drastischer und einschneidender. Das Leben in dieser Welt ist in allen Lebensbereichen geprägt von großer Komplexität und einer vorher nicht bekannten Dynamik, da die Veränderungen konstant voranschreiten. Die bisher als gesetzt angesehenen gesellschaftlichen Strukturen wurden auf den Kopf gestellt, da die Digitalisierung jedem Menschen eine Stimme gibt. Heutzutage gibt es kein neues Wissen, das erworben werden muss, sondern neues Wissen muss vielmehr konstruiert werden. Die Arbeitswelt hat heute weit weniger Bedarf an einer konformen Arbeiterschaft als an flexiblen und kreativen Köpfen, die gemeinsam nur selten vorhersehbare Probleme lösen. Dies resultiert darin, dass Bildung individuell geworden ist, dass Lernende Verantwortung übernehmen müssen und Lehrkräfte sie auf den ersten Schritten ihres Lernprozesses, der im Laufe ihres Lebens nie ganz abgeschlossen sein wird, begleiten und auch selbst lebenslang dazulernen.
Doch auch wenn sich die Rahmenbedingungen geändert haben, hat sich das Ziel der Bildung per se nicht wirklich verändert: Es geht darum, die Welt zu verstehen und sie – entsprechend der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen – für das Wohl der Gesamtheit, der Menschheit, mitzugestalten.

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