Wenn wir heute über Bildungspolitik, über Transformation oder über die sogenannte Steuerung von Innovation sprechen, verwenden wir oft Begriffe, die aus der Logik des Managements stammen: Governance, Steuerungswissen, Wirkung, Umsetzung. Doch was bedeutet „Governance“ eigentlich in einer Zeit, in der die Zukunft so offen ist, dass wir sie nicht mehr durch Zielvorgaben und Kennzahlen greifen können? Wenn niemand sagen kann, was morgen sein wird – wie können wir dann heute klug handeln?
Der Begriff der Governance kann als Brücke gedacht werden – oder als technokratischer Deckel. Er kann neue Möglichkeitsräume erschließen – oder bestehende Machtverhältnisse zementieren. Die Frage ist nicht, ob wir steuern. Sondern wie wir mit Unsicherheit umgehen – und ob wir Menschen, Beziehungen und Sinn ernsthaft mitdenken.
In vielen Diskussionen wird Transformation so behandelt, als sei sie ein geplanter Umbauprozess: klar strukturiert, durch Maßnahmen operationalisiert, durch Indikatoren überprüfbar. Doch diese Logik greift zu kurz – und verkennt die tiefgreifende Natur des Wandels, den wir erleben. Es geht nicht darum, ein bestehendes System zu optimieren. Es geht darum, zu lernen, wie wir überhaupt mit Nichtwissen, Vieldeutigkeit und Widersprüchen umgehen.
Die Steuerungslogik verspricht Sicherheit – gerade in Zeiten, die sich bedrohlich anfühlen. Aber sie reduziert Komplexität. Sie trennt Entscheider:innen von Gestalter:innen, Legitimierte von Betroffenen, Wissensproduzent:innen von Lernenden. Und sie übersieht dabei, dass echte Transformation nicht auf Steuerbarkeit wartet. Sie entsteht oft an den Rändern, in den Zwischenräumen, in der Reibung, in den Beziehungen, die nicht in Tabellen passen.
Was aber, wenn wir Governance anders denken? Nicht als Systemkontrolle, sondern als kollektive Suchbewegung. Nicht als Hierarchie der Zuständigkeiten, sondern als Netzwerk von Verantwortung. Nicht als Einbahnstraße der Umsetzung, sondern als wechselseitigen Prozess zwischen Politik, Praxis, Forschung und Gesellschaft.
In dieser Perspektive wird Governance zu etwas zutiefst Menschlichem: zur Fähigkeit, Vertrauen zu schaffen. Zuhören zu können. Macht zu teilen. Räume offen zu halten für das, was noch nicht definiert ist – aber entstehen kann. Governance als Beziehungskunst ist kein technischer Begriff. Sie ist eine Frage der Haltung.
Das bedeutet auch: Wir brauchen neue Orte der Verständigung. Orte, an denen Menschen unterschiedlichen Alters, mit unterschiedlichen Erfahrungen, Interessen und Perspektiven gemeinsam fragen dürfen: Was ist jetzt dran? Was können wir verantworten – nicht nur administrativ, sondern ethisch? Und wie schaffen wir Strukturen, die nicht verhindern, sondern ermöglichen?
In einer Welt, in der sich alte Gewissheiten auflösen, sind nicht diejenigen am besten vorbereitet, die alle Antworten haben. Sondern diejenigen, die mit offenen Fragen umgehen können. Die nicht in Lösungen denken, sondern in Beziehungen. Die nicht festlegen, sondern einladen.
Governance als Beziehungskunst heißt auch: Fehler als Lerngutscheine anerkennen. Irrtümer zulassen. Verantwortung nicht abschieben – aber auch nicht vereinnahmen. Es bedeutet, sich als Teil eines größeren Ganzen zu verstehen. Und es bedeutet, zu akzeptieren, dass wir alle nur einen Ausschnitt sehen – aber gemeinsam mehr erkennen können.
Gerade in der Bildung brauchen wir diesen Perspektivwechsel. Wer Entscheidungen trifft, sollte sich fragen: Bin ich Teil des Lernens? Wer Strukturen baut, sollte sich fragen: Dienen sie dem Leben? Und wer über Transformation spricht, sollte bereit sein, auch sich selbst zu verändern.
Und jetzt?
Wenn wir Transformation wirklich wollen, müssen wir anders über Governance sprechen. Nicht als Steuerung der Zukunft, sondern als Pflege eines offenen Möglichkeitsraums. Nicht als Maßnahme, sondern als Beziehung. Nicht als Planung, sondern als gemeinsame Praxis des Fragens, Zuhörens und Gestaltens.
Wir brauchen keine neue Kontrolle. Wir brauchen neue Verbundenheit.
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- Cover Future:Guide Bildung: Jr Korpa | Unsplash