„In der Schule geht es um Wissensvermittlung und Wissenserwerb, denn Wissen ist Macht!“

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Erst vor wenigen Wochen hörte ich bei der Präsentation der Initiative Digitale Bildung wieder Äußerungen, die mich erschaudern ließen: mehrfach wurde von den anwesenden Personen, einschließlich der Bundeskanzlerin und der Bundesbildungsministerin, festgestellt, dass es in der Schule um Wissenserwerb der Lernenden bzw. Wissensvermittlung durch Lehrkräfte gehe. Im weiteren Verlauf der Veranstaltung wurde davon gesprochen, dass es einen „Digitalen Bildungsraum“ geben werde, in dem vielfältige Bildungsangebote (also Content) genutzt werden können und der u.a. als digitale Ablage dienen solle. Schließlich liest man auf der Seite der Initiative Digitale Bildung, dass zu ihr auch zeitgemäße Inhalte, Methoden und Werkzeuge gehören und dass Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten etabliert werden sollen. Von den Lernenden und der notwendigen Transformation des Lernens hingegen sprach man kaum. Die im Zuge dieser Präsentation vorgestellte App „Stadt | Land | Datenfluss“ setzte dem Ganzen die Krone auf: sie soll auf spielerische Weise dazu beitragen, dass die Datenkompetenz gestärkt wird. Was sie in der Realität jedoch eigentlich ist: ein Lernspiel, das das Lernen gamifizieren soll – und ein deutliches Beispiel dafür, wieso der Gamification-Hype heiße Luft ist.  All dies belegt, dass zwar das Label Kompetenzentwicklung auf der Initiative Digitale Bildung klebt, jedoch nicht so wirklich verstanden wurde, was dies eigentlich für die Entwicklung des Bildungssystems bedeuten müsste. 

Früher stand Wissen in Büchern, es galt mehr oder minder als objektiv und statisch. Deshalb konnte es auch von Lehrern an Schüler weitergegeben werden. Wissen im digitalen Zeitalter hingegen ist sprichwörtlich an jeder digitalen Straßenecke vorhanden und ist oft subjektiv und dynamischer Natur. Wissen ist geradezu im Übermaß vorhanden. Betrachtet man diese Menge an Wissen, so wird schnell klar, dass der „Besitz“ dieses Wissens heute rein gar nichts mehr wert sein kann, denn jeder Internetnutzer kann es sich über eine einfache Suchanfrage besorgen. Viel wichtiger sind folgende Fragen:

  • Wie findet man das Wissen, das man braucht?
  • Wie kann man herausfinden, ob das gefundene „Wissen“ auch verlässlich ist?
  • Was macht man mit diesem Wissen?

Denkt man nun beispielsweise an die Leitperspektive Medienbildung aus den baden-württembergischen Bildungsplänen, so wird schnell klar, dass die Antworten auf diese Fragen nicht „unterrichtet“ oder „beigebracht“ werden können. Natürlich müssen auch Lehrkräfte diese Antworten kennen, doch können die damit verbundenen Kompetenzen nur aktiv durch die Lernenden selbst im Lernprozess erworben werden. Hier ist sowohl das Lernen über Medien als auch das Lernen mit Medien enorm wichtig und es geht um weit mehr als den Konsum oder den Erwerb von Wissen.

Die ersten beiden Fragen lassen sich am besten unter dem Begriff Informationskompetenz zusammenfassen: Wie stelle ich Suchanfragen und wie bewerte ich Quellen bzw. kann sie gegebenenfalls überprüfen? Die letzte Frage ist allerdings die Königsfrage, denn wie man Informationen sucht und bewertet, kann man prinzipiell lernen. Was man mit diesem so gefundenen und nach kritischer Betrachtung als verlässlich eingestuften Wissen macht, kann man jedoch nur teilweise lernen. Hier geht es darum, mit bereits vorhandenem Wissen kreativ umzugehen, es einzuordnen, es zu vernetzen und mit Hilfe einer Transferleistung (s. Überarbeitete Version von Blooms Taxonomie) etwas Neues daraus zu schaffen. Dieser Transfer kann natürlich im Rahmen eines Aufsatzes schriftlich erfolgen. Doch wenn es – mit dem Ziel, dass die Lernenden zu mündigen, die Zukunft mitgestaltenden Bürgern werden – um zeitgemäße Kompetenzorientierung geht, geht es um weit mehr als das Ergebnis einer Aufgabe: es geht um den Lernprozess selbst. In diesem Prozess entstehen Lernprodukte, die viel anschaulicher sind, wenn man digitale Medien einsetzt und ein multimediales Endprodukt erarbeitet – im schulischen Kontext beispielsweise ein Erklärvideo oder einen dreidimensionalen Raum – welches man anderen Lernenden zur Verfügung stellen kann, die es wiederum als Wissen rezipieren, bewerten und weiterverwenden können.

Noch viel deutlicher wird dies jedoch im kommunikativen Bereich, zum Beispiel beim Fremdsprachenlernen: man kann zwar relativ statisches Wissen wie Grammatik und Wortschatz auswendig lernen, sprachliche Feinheiten oder sich nur durch Nuancen unterscheidende Wörter im Internet oder auch in Büchern recherchieren – auch wenn selbst hier zu bedenken ist, dass der Umgang mit Wörterbüchern und Grammatikwerken ebenso vielschichtig ist wie die Frage, wie man eine digitale Suchanfrage stellt. Allerdings ist das Produkt, welches am Ende des Lernprozesses steht, immer eine sprachliche Handlung, die aus dem erworbenen Wissen und einer Transferleistung besteht. Denn eine sprachliche Äußerung besteht aus Worten, grammatischen Strukturen, aber vor allem aus einem bestimmten persönlichen Inhalt, den man nicht googeln kann.

Kurzum, heute geht es nicht mehr darum, Wissen auswendig zu lernen, sondern es geht darum mit kompetent recherchiertem Wissen konstruktiv umzugehen. Dafür ist es notwendig, Informationskompetenz zu besitzen und geistig zu einer Transferleistung fähig zu sein. Beides „erwirbt“ mach nicht durch reinen Konsum oder Auswendiglernen, sondern durch einen aktiven und von Lehrkräften angestoßenen und begleiteten Lernprozess.

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