Zeitgemäßes und zukunftsorientiertes Lernen

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Wir reden seit Jahren von der notwendigen Transformation des Lernens im 21. Jahrhundert und verweisen dabei auf die 4K, die 6C oder die 21st Century Skills, die „4Ps of Creative Learning“ und das SAMR-Modell von Ruben Puentedura. Doch es ist längst überfällig, das bisherige Verständnis von Begriffen wie „zeitgemäßes Lernen“ und „Transformation des Lernens“ im Kontext des SAMR-Modells zu überdenken und zu differenzieren.

Das SAMR-Modell beschreibt, wie Technologie in die Bildung integriert werden kann. Man verwendet entweder die Technologie, um den Unterricht zu verbessern, indem man ein analoges Medium durch ein digitales Medium ersetzt (Substitution; z.B. Schulbuch als PDF auf dem Tablet) oder die Funktionen eines analogen Mediums mit digitalen Mitteln erweitert (Augmentation; z.B. interaktives Schulbuch mit multimedialen Dateien und 3D-Simulationen oder digitale Arbeitsblätter mit LearningApps). Oder aber man möchte eine Transformation erwirken, indem man mit der zur Verfügung stehenden Technologie die Aufgaben verändert (Modification, z.B. digitales und interaktives Poster mit Glogster statt einem analogen Poster) oder basierend auf der vorhandenen Technologie das Lernen und die bisher als selbstverständlich akzeptierten Rollen von Lehrer und Schüler neu definiert (Redefinition, z.B. aktive Gestaltung von VR-Inhalten durch Lernende oder von Lernenden geführte Ausflüge nach Alaska mit VR). Dies betrifft nicht die rein technische Ebene, sondern es handelt sich um eine veränderte Haltung, ein neues Mindset, welches sich am pädagogischen Ziel ausrichtet.

Das SAMR-Modell ist kein Stufenmodell, bei dem man mit wachsender Erfahrung immer weiter nach oben gelangt, sondern es geht um die Frage, wie man das pädagogische Ziel am besten erreichen und dabei  Technologie einbinden kann. In den Bereichen S und A steht in der Regel die Lehrkraft nach wie vor traditionell als lenkende Kraft im Vordergrund, während in den Bereichen M und R die Lernenden im Vordergrund stehen.

Wie genau die Transition zwischen Verbesserung des Unterrichts und der Transformation des Lernens stattfinden soll, wird allerdings nicht thematisiert. Meines Erachtens ist es deshalb nötig, den ursprünglichen Bereich der Transformation in zwei separate und aufeinander aufbauende Bereiche aufzuteilen und sie respektive mit den Konzepten des zeitgemäßen bzw. des zukunftsorientierten Lernens in Verbindung zu bringen.

Zeitgemäßes Lernen

Der Bereich des zeitgemäßen Lernens ist laut meinem Verständnis eher ein Bereich der Transition vom lehrerzentrierten oder -gesteuerten Unterricht hin zur Transformation des Lernens. Er hat jedoch mit der mit Blick auf die Zukunft notwendigen allumfassenden Transformation nur ansatzweise zu tun. Zeitgemäßes Lernen findet heute bereits an vielen Schulen statt, indem zeitgemäße Technologie wie Tablets und andere digitale Endgeräte und Werkzeuge eingesetzt werden, Coding thematisiert wird und mehr und mehr lernerzentriert gearbeitet wird. Dies ist nicht zuletzt politischen Maßnahmen wie der KMK-Strategie „Bildung in der digitalen Welt“ und dem DigitalPakt Schule, sowie  den daraus resultierenden pädagogischen Konzepten und auch der Corona-Pandemie zu verdanken. Auch wenn hier langsam die Lernenden in den Vordergrund rücken, weil die Lehrkräfte Aufgabenstellungen (mitunter zwangsläufig) an die zur Verfügung stehenden digitalen Methoden und Werkzeuge anpassen, so befinden wir uns aufgrund der allgemeinen Rahmenbedingungen (z.B. Prüfungskultur, Zentralabitur, Stundentakt, Fächertrennung, usw.) nach wie vor zwischen Lehrersteuerung und Lernerzentrierung.

Zukunftsorientiertes Lernen

Das zukunftsorientierte Lernen ist ein (anzustrebender) Zustand, der sich dadurch auszeichnet, dass die Transformation des Lernens in vollem Gange ist. Die Lernenden übernehmen Verantwortung für ihr Lernen und die Lehrkräfte stehen ihnen beratend statt steuernd zur Seite. Im Mittelpunkt steht der Lernprozess und der Erfolg des Einzelnen in Bezug zur Lebensumwelt.

Die Rahmenbedingungen haben sich beim zukunftsorientierten Lernen bereits stark verändert, z.B. durch neue Formen von Evaluation, Projektorientierung, fächerübergreifendes und -verbindendes Lernen. Eine dem Stand der Technik entsprechende Ausstattung und digitale Infrastruktur ist hier ebenso selbstverständlich wie das Vorhandensein von diversen Lernräumen, die mit der Schule von heute, die nach wie vor einer Fabrik ähnelt, nichts mehr zu tun hat.

Beim zukunftsorientierten Lernen geht es darum, der Komplexität der Welt im Zeitalter der Digitalen Transformation auf Augenhöhe zu begegnen. Unsere Gesellschaft sieht sich mit vielen Problemen konfrontiert, deren Lösung davon abhängt, dass junge Menschen flexibel, kollaborativ und kreativ gemeinsam neues Wissen konstruieren und so kontinuierliche Innovation ermöglichen, die mit den vielfältigen und in einer vernetzten Welt voneinander abhängenden Entwicklungen Schritt halten kann.

Konkret werden hier die oft zitierten Kompetenzen des 21. Jahrhunderts (s. z.B. Michael Fullan: 6Cs of Deep Learning) und die Potenziale des orts- und zeitunabhängigen Lernens berücksichtig. Dies hat sich nicht nur im schulischen Bereich, sondern auch in der Berufswelt als sinnvolle Herangehensweise erwiesen. So wurden in vielen Firmen, die im innovativen Bereich sehr erfolgreich sind, schon vor Jahren Konzepte implementiert wie die Genius Hour, die es Mitarbeitern ermöglicht, im Rahmen ihrer Arbeitszeit an eigenen Projekten zu arbeiten, die dann ins Unternehmen zurückfließen können. So sind beispielsweise viele Ideen der Firma 3M entstanden. Und auch viele Firmen aus dem Silicon Valley setzen auf solche Konzepte. In der Bildung gibt es neben der Idee der Genius Hour auch daran angelehnte Konzepte, wie den Frei-Day, die erfolgversprechend aussehen.

Schließlich ist es beim zukunftsorientierten Lernen auch wichtig, den großen gesamtgesellschaftlichen Zusammenhang zu berücksichtigen. Dies bedeutet unter anderem, dass der Tatsache Rechnung getragen wird, dass Lernen nicht im Vakuum stattfindet, sondern es vielfältige Beziehungen zur Welt, zur Gesellschaft und zur unmittelbaren Gemeinschaft gibt, sodass sich die einzelnen Akteure aneinander ausrichten können. Das eigentliche Ziel des zukunftsorientierten Lernens ist die Handlungsfähigkeit der Lernenden in der Zukunft (s. OECD Learning 2030), wobei das Wort Lernende sich sowohl auf Kinder und Jugendliche beziehen kann, als auch auf die Erwachsenen, die sich mit ihnen auf eine Lernreise begeben.

Das zukunftsorientierte Lernen ist also ein fließendes Konzept, welches sich kontinuierlich anhand von Erfahrungen aus der Gegenwart und Lehren aus der Vergangenheit an der Zukunft ausrichtet. Es verbindet u.a. Themen wie Extended Reality, Game-based Learning, Computational Thinking, Design Thinking, Futures Thinking, Künstliche Intelligenz, das Internet of Things und die Blockchain miteinander, um auf die Probleme der Zukunft vorbereitet zu sein und Lösungen griffbereit zu haben.

Ein Beispiel, wie zukunftsorientiertes Lernen im Jahre 2035 aussehen könnte, finden Sie in dieser Geschichte aus der Zukunft.

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